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Zwischen Festungsmauern.

Das Haus der Geschichte muss den Aufrüstungsphantasien im "Kampf der Kulturen" entrissen werden! Von Martin Wassermair.

Wehrlosigkeit war gestern. Damit ist nun Schluss. "Der Totalangriff hat gefruchtet!", brüllte ORF-Sportkommentator Robert Seeger im Finale des Herren-Torlaufs der Olympischen Winterspiele 2006 in die Fernseh-Übertragung. Die nationale Schmach, ausgerechnet von italienischen Behörden des Missbrauchs verbotener Substanzen zur athletischen Leistungssteigerung angeklagt zu sein, schien mit dem rot-weiß-roten Dreifach-Triumph nachhaltig vergolten. Bumm, bumm, bumm!

Auffallend wenige Knalleffekte begleiteten Ende Februar ein Pressegespräch des Bundeskanzlers nach dem Ministerrat. Dabei war der Anlass allemal explosiv. Nachdem sich schon Bundespräsident Heinz Fischer in seiner Neujahrsansprache für eine rasche Verwirklichung des "Hauses der Österreichischen Zeitgeschichte" ausgesprochen hatte, erklärte nun Wolfgang Schüssel, die Planungen seien bereits in die Wege geleitet. Der Auftrag erging, so durften die Medien erfahren, an Unterrichtsministerin Elisabeth Gehrer und - an den Verteidigungsminister. Vermutlich schnellten spätestens jetzt im Auditorium zahlreiche Augenbrauen in die Höhe. Doch die Absichten blieben nicht allzu lange verborgen. Der Standort, so führte der Bundeskanzler näher aus, solle schon bald innerhalb des Heeresgeschichtlichen Museums angesiedelt werden. "Rund um den neuen, dort im Entstehen begriffenen Bahnhof kann gemeinsam mit dem Museum des 20. Jahrhunderts und dem Schloss Belvedere eine Museumsinsel entstehen, die eine große Ausstrahlung hätte." Damit könne, vor allem im Hinblick auf eine Zusammenführung von Heeresgeschichte und Zeitgeschichte, "eine hochinteressante neue Sicht der österreichischen Geschichte geboten werden".

Militärstrategische Planung im Takt der Breaking News

Im Verteidigungsministerium selbst kann die neue Aufgabe der Musealisierung zu diesem Zeitpunkt bestenfalls eine vorerst nachgeordnete Beachtung gefunden haben. Zu groß sind die Bedrohungen der Gegenwart, zu unberechenbar die Wirrnisse einer globalisierten Welt nach dem Kalten Krieg. Da müssen Militärdoktrinen stündlich neu justiert werden, die strategische Planung folgt schließlich dem Takt der Breaking News. Die Atomwaffen-Pläne des Iran, der Wahlerfolg der radikal-islamistischen Hamas, die Unsichtbarkeit bei gleichzeitiger Omnipräsenz der Al-Quaida, die aufgebrachten muslimischen Massen im so genannten Karikaturenstreit - da darf Österreich keinesfalls wehrlos bleiben! In derart aufgeheizter Stimmung überrascht es wenig, wenn selbst Führungspersönlichkeiten Grenzwerte erreichen.

Schon Ende Jänner 2006 machte Erich Reiter, der langjährige Leiter des Büros für Sicherheitspolitik im Verteidigungsministerium mit Nähe zur FPÖ, auf sich aufmerksam, indem er auch für Österreich die Aneignung atomarer Schlagkraft forderte. Am 11. Februar gab ihm Die Presse die Möglichkeit, in einem Kommentar noch ausführlicher zu werden. "Nukleare Abschreckung und nukleare Bedrohung sind in ihren Auswirkungen und Folgen grenzüberschreitend. Deshalb wäre es klug, solche Fragen im europäischen Rahmen zu erörtern, und es wäre nur recht und billig, auch den Nichtnuklearstaaten, die ja von Folgen mitbetroffen wären, auch eine Stimme zu geben." Nur nicht tatenlos zusehen, scheint Reiter überzeugt zu sein, schon gar nicht, wenn eine friedliebende Öffentlichkeit vom Weltgeschehen nichts versteht. "Wenn man auf mögliche künftige Risiken und Bedrohungen hinweist, dann gilt oft, dass der Diagnostiker für die Krankheit verantwortlich gemacht wird. So erging es ja auch Huntington, der vor dem Clash of Civilisations gewarnt hat und für Maßnahmen zur Vermeidung plädierte. Aber den Clash durfte es nicht geben; nun gibt es ihn doch." Bumm, bumm!

Anschluss an den neokonservativen Welt-Katechismus

Verteidigungsminister Günter Platter wollte sich offensichtlich in Folge unangenehme Fragen ersparen und enthob den Sicherheitsbüroleiter mit sofortiger Wirkung seines Amtes. Nicht außer Kraft gesetzt ist das offizielle Organ der Republik, die Wiener Zeitung. Seit der Übernahme des ehemaligen Presse-Chefredakteurs Andreas Unterberger erlebt das traditionsreiche Blatt einen gespenstischen Rechtsruck, der offensichtlich Anschluss sucht an den neokonservativen Welt-Katechismus von Heimatschutz, ungezügelter Marktwirtschaft und Familienglück. Da macht es nur Sinn, dass sich auch Christian Ortner in seiner Kolumne am 11. Februar mit dem Ruf "Brüssel braucht die Bombe!" auf die Seite der nuklearen Rüstungsphantasien stellte und zugleich auf identitätspolitische Profite schielte: "Gerade für ein kleines und praktisch weitgehend unbewaffnetes Land wie Österreich wäre eine Europäisierung der nationalen Atomwaffen Englands und Frankreichs ein erheblicher Zugewinn an Souveränität. Denn derzeit liegt Wien im Zuge einer weltpolitischen Krise wie sie aus dem Iran droht zwar durchaus in Reichweite der persischen Raketen, könnte letztlich aber nur hoffen, dass Paris und London die richtigen Entscheidungen treffen. Würden die europäischen Atomwaffen hingegen künftig der EU unterstellt werden, hätte Österreich natürlich auch über deren Einsatz mit zu entscheiden."

Auch der Chefredakteur der Wiener Zeitung lässt tagtäglich sehr tief blicken, nicht zuletzt - und hier schließt sich der Kreis um Erinnerungskultur, geschichtspolitische Publizistik und die Frage nach der Einbettung von Gedächtnisorten in eine geistig-kulturelle Landesverteidigung - wenn die Grundlagen des demokratischen Staatswesens oder der Umgang mit dem Erbe der nationalsozialistischen Vergangenheit zu verhandeln sind. Nach dem Urteil gegen den britischen Shoa-Leugner und Revisionisten David Irving beklagte Unterberger am 22. Februar, "dass sich Österreich mit der Bestrafung eines reinen Meinungsdelikts aus der Gruppe der voll entwickelten liberalen Rechtsstaaten ausschließt". Und weiter: "Zur Meinungsfreiheit gehört eben auch das Recht, völligen historischen Unsinn zu verzapfen. Wird dieses Recht aber einmal geschmälert, dann stellt man sich zumindest in dieser Hinsicht auf eine Ebene mit den totalitären Systemen des 20. Jahrhunderts." Bumm!

Ein Haus der Geschichte ist tatsächlich bitter nötig. Nur wenige haben sich bislang darüber den Kopf zerbrochen, mit welcher inhaltlichen Ausrichtung, mit welcher Vermittlungsform, unter welchem Paradigma, dem Unsinn aus national-konservativen Federn am besten entgegen zu treten ist. Heidemarie Uhl formulierte zu Beginn des Jahres ihre Anforderungen an die Zeitgeschichte als eine "Agentur historisch-politischer Aufklärung mit einem gegenwartsbezogenen Auftrag". In einem Standard-Kommentar betonte die Historikerin am 7. Jänner, dass vor allem die "Kontroversen um die wunden Punkte der Vergangenheit", allen voran die Diktatur des Austrofaschismus sowie die Mitverantwortung am verbrecherischen NS-Regime, "auch gesellschaftspolitische Grundsatzdebatten der Zweiten Republik" markierten. Ohne Zweifel wird gerade auch ein neues Museum der Geschichte Österreichs an der Bereitschaft zu beurteilen sein, die vielen Kontinuitäten, Konflikte und Brüche kritisch zu reflektieren und öffentliche Diskurse in Gang zu setzen. Folgerichtig kommt Heidemarie Uhl zu dem Schluss: "Zeitgeschichte heißt ja nicht allein, die Geschichte der letzten Jahrzehnte darzustellen, sondern sie neu zu erzählen".

Doch schon die Entwicklungen im Vorfeld ernüchtern jede Zuversicht. "Selbstverständlich wird dieses Projekt frei von jeder Parteipolitik und politischer Beeinflussung sein", versuchte der Bundeskanzler der Öffentlichkeit schon bei der Präsentation seiner Pläne zum Haus der Geschichte weis zu machen. "Ich wünsche mir, dass Wissenschafter hier frei arbeiten können. Das hat sich schon bei den beiden Ausstellungen im Schloss Belvedere und auf der Schallaburg bestens bewährt." Wolfgang Schüssel spekuliert hier mit Erinnerungslücken aus dem Gedankenjahr. Denn tatsächlich hat 2005 die volksfestartige Inszenierung des Staatsvertrags als Seifenoper die vielen historischen Verzerrungen und Auslassungen, die der politischen Kultur dieses Landes eigen sind, zusätzlich gefestigt. Und auch die Patriotismus-Walze in ORF und Kronen Zeitung hat den österreichischen Solipsismus noch verstärkt. Ganz zu schweigen davon, dass in der Belvedere-Ausstellung missliebige Begleit-Publikationen im Reißwolf landen mussten (siehe dazu auch die Beiträge "Privatisiert und eingestampft!" sowie "Die Ausstellung als Ort der Macht" in Kulturrisse 0305).

Ostermärsche für die Gedächtnispolitik?

Die Opposition schweigt in dieser Angelegenheit. Auch hat sich die institutionalisierte Zeitgeschichte noch nicht zu Wort gemeldet. Lediglich der millionenschwere Unternehmer Hannes Androsch trägt sich einmal mehr mit der Absicht, mit dem ehemaligen Sekretär der Industriellenvereinigung Herbert Krejci und Peter Weiser, vormals ein Kreisky-Intimus, ein Konsortium zu bilden, um nun auch - eine Unterschriftensammlung unter dem Deckmantel der Entparteipolitisierung bildet nun dafür den ersten Schritt - das Haus der Geschichte an sich zu reißen. Sein Machthunger ist weiterhin ungestillt. Warum sollte ihm in diesem Falle nicht auch gelingen, was schon bei der Staatsvertragsausstellung im Belvedere weit gehend unwidersprochen blieb?

Somit sind politisches Handeln, Strategien und Bündnisse gefordert. Das Haus der Geschichte läuft Gefahr, eines Tages zwischen Militärkomplexen und nuklearen Aufrüstungsphantasien, zwischen staatlichen Geschichtsrevisionismen und Festungsmauern für den "Kampf der Kulturen" festgezurrt zu sein. Angesichts der Militarisierung und neokonservativen Einfärbung werden die Hoffnungen auf die Ostermärsche der Friedensbewegung alleine nicht genügen, um eine öffentliche Debatte zur Gedächtnispolitik in Österreich herzustellen. Die Erfahrungen aus dem Jahre 2005 haben gezeigt, dass Kunst, Kultur, Wissenschaft und Aktivismus in einander übergreifend sehr wohl eine Vielzahl von gegen-hegemonialen Aktivitäten entwickeln können. Sollte diese Chance ungenützt bleiben, darf sich niemand wundern, wenn im künftigen Haus der Geschichte ausgerechnet die Schmach der ungewollten Heimkehr des Ski-Olympioniken Karl Schranz aus Sapporo 1972 als ein ganz besonderes Beispiel nationalen Heldentums mit Identität stiftender Langzeitwirkung zu bestaunen ist. Peng!

Martin Wassermair ist Historiker, Kultur- und Medienaktivist, lebt in Wien.

Aus: Kulturrisse 0106, März 2006.

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60 Jahre Befreiung, 50 Jahre Staatsvertrag, 10 Jahre EU-Mitgliedschaft - im so genannten Jubiläumsjahr 2005 erlebt Österreich einen neuerlichen Schub an Geschichtsverzerrung und Chauvinismus, an Opfermythen und diversen rot-weiß-roten Identitätskonstruktionen.
Eine Aktionsplattform tritt gegen die national-konservative Jubelmaschine an
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