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Welches Haus wollen wir?

Die Erfolgsgeschichte nach 1945 war das Leitmotiv des Jubiläumsjahres - in einem "Haus der Zeitgeschichte" müsste es mehr Platz für kontroversielle Sichtweisen geben. Ein Kommentar von Heidemarie Uhl.

Seit der Neujahrsansprache des Bundespräsidenten steht das "Haus der Zeitgeschichte" wieder auf der Agenda öffentlicher Gedächtnispolitik. Mit dem Argument, man solle das Eisen schmieden, solange es noch heiß ist, und die Erfolgsausstellungen des Jahres 2005 nützen, hat sich Heinz Fischer für eine baldige Umsetzung des Projekts ausgesprochen.

Hat nun das seit Jahren kontroversiell diskutierte "Haus der Zeitgeschichte" 2005 seine "Meistererzählung" gefunden, die österreichische Erfolgsgeschichte seit 1945 - vor dem Hintergrund des Scheiterns der Ersten Republik? Denn dies war zweifellos das medial und visuell vielfach kommunizierte Leitmotiv des Jubiläumsjahres. Diese Sichtweise hat allerdings mit dem Geschichtsverständnis jener Zeitgeschichtsforschung, die in den 70er-Jahren auch in Österreich die verkrusteten Strukturen der universitären Geschichtswissenschaft aufzubrechen begonnen hat, wenig zu tun.

Grundsatzdebatten

Zeitgeschichte heißt ja nicht allein, die Geschichte der letzten Jahrzehnte darzustellen, sondern sie neu zu erzählen: Zeitgeschichte verstand und versteht sich vor allem auch als Agentur historisch-politischer Aufklärung mit einem gegenwartsbezogenen Auftrag. Und ihre Öffentlichkeitswirkung ist kaum zu bestreiten: Die Kontroversen um die Verdrängung der "wunden" Punkte der Vergangenheit - die Ständestaat-Diktatur, die Verstrickung in den Nationalsozialismus - markieren auch gesellschaftspolitische Grundsatzdebatten der Zweiten Republik.

Welches Geschichtsbild der neuen Initiative zugrunde liegt, darüber kann die vor wenigen Wochen beendete Ausstellung "Das Neue Österreich" im Oberen Belvedere Auskunft geben, die als einzige Ausstellung im Jahr 2005 als Gesamtschau der Geschichte Österreichs im 20. Jahrhundert konzipiert war. Sie schlägt insofern ein durchaus neues Kapitel auf, als die Konfliktzonen der österreichischen Geschichtsdebatte hier nicht verschwiegen oder ausgeblendet, sondern in die "große Erzählung" integriert wurden.

Allerdings: Wie sie dargestellt wurden, bewirkt letztlich die Entschärfung und Neutralisierung ihres Potenzials als "heiße", umstrittene Vergangenheit, auch wenn dies gerade nicht die Intention der Kuratoren gewesen sein mag: Denn die Ausstellung vermeidet es, einen dezidierten Standpunkt einzunehmen, Geschichten erscheinen vielmehr gleichwertig und damit gleich legitim.

Diese Interpretation legt etwa die Aneinanderreihung von Heimwehr-Hut, Schutzbund-Mütze und SA-Kappe in der Eingangssequenz zum Ständestaat-Bereich nahe - die einen waren eben in diesem und die anderen in jenem politischen Lager. Neben einem überdimensionalen Dollfuß-Plakat befand sich Julius Deutsch' Broschüre über den "Bürgerkrieg in Österreich" 1934, neben Bildern des "Anschluss-Pogroms" Fotos von Kriegshochzeiten.

Und wenngleich die Schlusssequenz des Abschnitts "NS-Herrschaft in Österreich" bewegende Zeugnisse von Opfern des Holocaust zeigt, so konnte man sich doch im unmittelbar darauf folgenden Raum nicht entschließen, zu 1945 als Befreiung oder Besetzung eine klare Haltung einzunehmen.

Erfolgsrezept

Aber gerade darin liegt das Erfolgsrezept der Ausstellung: Jede und jeder kann sich mit seiner Geschichte wiederfinden, Konflikte und Irritationen sind nicht vorgesehen, und folgerichtig bilden die nach wie vor präsenten Kontroversen um die NS-Vergangenheit die eigentliche Leerstelle der Ausstellung - die Waldheim-Debatte hat im "Neuen Österreich" nicht stattgefunden.

Natürlich finden sich auch kritische Stimmen zur österreichischen Identität - aber diese sind ja mittlerweile Pflicht jedes Projekts, das sich gegen Kritik an einer affirmativ-beschönigenden Darstellung wappnen möchte. Und alles wurde vom rot-weiß-roten Band des Österreich-Patriotismus umschlungen. Kein Wunder, dass im Besucherbuch davon geschwärmt wird, was für ein wunderbares Land Österreich ist.

Der Ausstellung "Das Neue Österreich" ist es durchaus beeindruckend gelungen, den Nachkriegsmythos von der Erfolgsstory der Zweiten Republik in neuer Form zu kommunizieren - nicht nur ästhetisch, auch durch die Integration von bislang umstrittenen Gedächtnisorten. Es mag sein, dass diese Form der Musealisierung zu affirmativen Ergebnissen tendiert, aber auch andere wären möglich - die für Juni geplante Eröffnung der neu gestalteten Dauerausstellung im Deutschen Historischen Museum Berlin ist diesbezüglich mit Spannung zu erwarten.

Ein "Haus der Zeitgeschichte" wird auch am gegenwärtigen internationalen "state of the art" der musealen Aufbereitung der nationalen Geschichte gemessen werden - und das heißt vor allem auch an der Sensibilität und Kritikfähigkeit im Umgang mit den wunden Punkten der eigenen Geschichte.

Die Re-Inszenierung der österreichischen Erfolgsstory ist nicht nur mit einem Verständnis von Zeitgeschichte als gesellschaftskritischer Instanz kaum kompatibel, sie wird auch für die internationale Positionierung eines Museums der Geschichte Österreichs im 20. Jahrhundert nicht ausreichen.

Die Autorin ist Historikerin in der Kommission für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien.

Zuerst erschienen in: Der Standard, 7./8. Jänner 2006

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60 Jahre Befreiung, 50 Jahre Staatsvertrag, 10 Jahre EU-Mitgliedschaft - im so genannten Jubiläumsjahr 2005 erlebt Österreich einen neuerlichen Schub an Geschichtsverzerrung und Chauvinismus, an Opfermythen und diversen rot-weiß-roten Identitätskonstruktionen.
Eine Aktionsplattform tritt gegen die national-konservative Jubelmaschine an
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