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Heiß umfehdet, wild umstritten. Geschichtsmythen in Rot-Weiß-Rot.

Rezension von Christine Mayer.

Die Ausstellung "Heiß umfehdet, wild umstritten" (von April bis Oktober 2005 in Villach zu sehen) wird von einem Katalog begleitet, dessen Beiträge keine schlichte Erläuterung der Exponate bieten, sondern zu einer vertiefenden Beschäftigung mit dem Thema der Selbstdarstellung und Identitätskonstruktion der Zweiten Republik einladen. Schon in seinem Geleitwort fordert Helmut Manzenreiter, Bürgermeister der Stadt Villach, dazu auf, "an der Oberfläche [der Geschichte(n)] zu kratzen" und "nostalgische Verklärungen" der Vergangenheit kritisch zu hinterfragen. Die offiziellen Erzählweisen des Gedankenjahres 2005, so merken auch die HerausgeberInnen des Buches an, würden leider "weniger zu einer kritischen Standortbestimmung (...) führen" als "in einen patriotischen Festakt mit einem Revival der österreichischen Opferthese münden". Die vorliegende Textsammlung bietet hingegen einen Beitrag zur Diskussion über Themen, "die außerhalb des österreichischen bzw. Kärntner Kollektivgedächtnisses liegen und nur allzugerne ausgeblendet werden: die massiven Diffamierungs- und Ausgrenzungspolitiken, die Kontinuitäten faschistischer Traditionen und die Ausblendung der NS-Opfer aus der öffentlichen Wahrnehmung, welche den österreichischen Demokratisierungsprozess nach 1945 begleiteten".

Entsprechend vielfältig gestalten sich die Beiträge des Buches, die eben diese ‚blinde Flecken’ beleuchten. Die gute Lesbarkeit der historischen Analysen wird durch eingefügte Augenzeugenberichte, Photos, Briefe, Urkunden, Bilder von Flugblättern oder baulichen Monumenten unterstrichen; die AutorInnen haben es geschafft, den wissenschaftlichen Fachjargon weitgehend hinter sich zu lassen. Wünschenswert wäre es allenfalls gewesen, an mancher Stelle konkretere Zahlen zu nennen: zu ungenau sind Angaben darüber, dass "viele" Kärntner Nationalsozialistinnen am Germanisierungsauftrag in Kärnten mitwirkten oder dass "viele" slowenischsprachige Frauen dem antifaschistischen Widerstand angehörten. Die ansprechende Aufbereitung des Katalogs, das breite Spektrum der Artikel und die Angabe weiterführender Literatur und Quellen trösten jedoch über diesen Unvollständigkeit durchaus hinweg.

Heidemarie Uhl diskutiert in ihrem Artikel das österreichische Gedächtnis im Jubiläumsjahr 2005 und fragt, warum nicht das (kontroversiell beurteilte) Kriegsende und die Wiederrichtung der Republik 1945, sondern die (konsensbestimmte) Unterzeichnung des Staatsvertrags 1955 im Mittelpunkt der offiziellen Feierlichkeiten standen. Auch Katharina Wegan widmet sich im Text "Heilige Zeiten" dem Thema der Staatsvertragsfeiern in der Zweiten Republik, gibt einen historischen Überblick, analysiert die Entwicklungen mit Bezug auf den jeweilig dominanten politischen Diskurs und streicht die identitätsbildende Kraft von Jubiläen hervor. Der Artikel "Es gibt keine jüdische Frage" von Thomas Albrich beschäftigt sich mit der "Aufrechterhaltung des österreichischen Opfermythos", so der Untertitel. Albrich analysiert die Auswirkungen der als Freibrief verstandenen Moskauer Deklaration auf Nachkriegsdenken und -politik und ihre taktische Funktion in der Frage der Mitverantwortung Österreichs an den Gräueltaten des NS-Regimes. "Die jüdischen Überlebenden", so Albrich, stellten "die größte ‚Gefahr’ für die Opferthese dar, da allein schon ihre Existenz hässliche Erinnerungen an die unmittelbare Vergangenheit weckte." Ihr Ringen um Anerkennung als Opfer und um finanzielle Wiedergutmachung bilden ebenso einen Fokus des Texts wie die heikle Frage der gesellschaftlichen Gleichstellung von NS-Opfern und ehemaligen Wehrmachtssoldaten.

Peter Pirker schreibt über Widerstand, Desertion und Abwehr sowie über die "Geschichtspraxis im Gedankenjahr". Die jahrzehntelang hinausgeschobene Rehabilitierung und die Verunglimpfung von Deserteuren als "Mörder" oder "Feiglinge" selbst durch ranghohe österreichischen PolitikerInnen werden ebenso thematisiert wie das "patriotisch gestylte Abwimmeln" dieses Themenkomplexes im Kanon des Gedankenjahrs 2005. "60 Jahre Minderheitenpolitik in Kärnten/Koroøka" werden in einem Beitrag von Lisa Rettl aufgerollt. Bewaffneter Widerstand und Verfolgung der Kärntner SlowenInnen in der Zeit der NS-Herrschaft finden hier ebenso Erwähnung wie die schwierige Heimkehr nach dem Krieg und die Konflikte der darauffolgenden Jahrzehnte, die mitunter auch heute noch offen zutage treten. In ihrem zweiten Text nimmt die Mitherausgeberin die Selbstdarstellung Österreichs als erstes Opfer NS-Deutschlands und die Erinnerungskultur seit 1945 unter die Lupe. Sie dokumentiert das "Verschwinden der NS-Opfer aus dem öffentlichen Gedächtnis" anhand von Denkmälern der Stadt Villach und konstatiert für die letzten fünf Jahre "einen deutlichen Aufschwung nationalistisch motivierter Geschichtsinszenierungen vor und mit Denkmälern, in der nicht nur die Opferthese wieder eine erstaunliche Revitalisierung erfährt, sondern zunehmend auch revisionistische und rechtsextreme Geschichtsdeutungen in den Mainstream-Diskurs Eingang finden."

Klaus Amann dekonstruiert in seinem Beitrag über Literaturmythen die Kärntner Heimatdichtung, die im Mythos des Abwehrkampfs fußt, der ein konstituierendes Element für "Landesbewusstsein und Heimatgefühl, für Landeshistorie und Landespolitik" darstellt. Der Autor ortet "literarische Prostitution, die sich mit dem Begriff ‚Heimat’ auf den Lippen den politischen Absichten und Zwecken der jeweiligen Machthaber ausliefert", wenn Topoi des NS-Regimes nahtlos auch auf die Zweite Republik angewendet werden. Der Beitrag "’Sind wir ein Negerstamm?’ Metamorphosen in Rot-Weiß-Rot" von Mitherausgeber Werner Koroschitz beleuchtet das Verhältnis der ÖsterreicherInnen zur alliierten Besatzung und dokumentiert unter anderem die ‚sexualpatriotisch’ motivierte Diffamierung von Frauen, die mit Alliierten Beziehungen unterhielten. Eine Bilddokumentation von Gerhard Maurer stellt den Abschluss der Textsammlung dar: Ein Rundgang durch die Ausstellung, der exemplarisch die verschiedenen Teile vorstellt und mit seinem Bildmaterial zu weiterem Nachdenken anregen will.

Das Buch: Werner Koroschitz, Lisa Rettl (Hg.), Heiß umfehdet, wild umstritten. Geschichtsmythen in Rot-Weiß-Rot. Klagenfurt/ Celovec: Drava Verlag, 2005.

Plattform
60 Jahre Befreiung, 50 Jahre Staatsvertrag, 10 Jahre EU-Mitgliedschaft - im so genannten Jubiläumsjahr 2005 erlebt Österreich einen neuerlichen Schub an Geschichtsverzerrung und Chauvinismus, an Opfermythen und diversen rot-weiß-roten Identitätskonstruktionen.
Eine Aktionsplattform tritt gegen die national-konservative Jubelmaschine an
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