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Passionsspiele in Wien

Im »Gedankenjahr 2005« ist Österreich so richtig in Feierlaune. Die Gedenkveranstaltungen thematisieren so ziemlich alles – außer den Verbrechen der Nazis. Von Jutta Sommerbauer.

Samstag, 12. März 2005. »Heute Abend im Ersten Bezirk!« So versucht einer der Jugendlichen im Menschengewirr auf sich aufmerksam zu machen. In der Wiener Innenstadt, wo sonst Studenten in Mozart-Kostümen den Touristen Karten für klassische Konzerte aufschwatzen, stehen allerorts junge Menschen in weißen Jacken, die für eine Veranstaltung der Projektgruppe »25 Peaces« werben. Für die geplante Aktion im öffentlichen Raum ist der Termin allerdings denkbar ungünstig. Bei dem schlechten Wetter sind fast nur Touristen unterwegs.

Punkt 19 Uhr ist es dann so weit: An drei zentralen Plätzen werden Licht- und Toninstallationen in Gang gesetzt, die die schwersten Bombenangriffe der Alliierten vor 60 Jahren simulieren sollen. Am Neuen Markt werden Ansichten zerstörter Häuserfronten auf ein Wohnhaus projiziert, Namen – vermutlich von Bombenopfern – laufen die Häuserwand entlang. Der Soundteppich besteht aus Donnergrollen und einer Stimme, die in englischer Sprache Befehle durchgibt.

Neben der Staatsoper haben sich die meisten Schaulustigen versammelt. Hier stand bis zum 12. März 1945 der Philliphof, ein Wohnhaus. Bei seiner Bombardierung kamen 200 Menschen ums Leben. Auf dem so genannten Albertina-Platz steht heute das »Mahnmal gegen Krieg und Faschismus« des Bildhauers Alfred Hrdlicka. »Gehen wir weiter zurück, sonst werden wir nass«, sagt einer der Zuschauer. Die Wasserfontäne in der Platzmitte, auf die eine Ansicht des Philliphofs projiziert werden soll, erweist sich als wenig stabil. In der Theorie habe es gut funktioniert, leider sei es heute zu windig, erklärt einer der Techniker und zieht an seiner Zigarette. Die Zuschauer wirken etwas ratlos. Das »Bombenspektakel« hat man sich anders vorgestellt.

Den »Schrecken der Destruktion« wolle man thematisieren, so die Organisatoren, die im Rahmen des »Gedankenjahres 2005« insgesamt 25 Projekte vorbereitet haben. Inhaltlich beruft man sich auf die »allgemeine Zerstörungskraft des Krieges«. Dass es in diesem Fall um die besondere der Alliierten geht, passt nicht zufällig gut ins Konzept. Im Gedenkjahr geht es den Österreichern darum, sich als das darzustellen, was sie angeblich immer schon waren: Opfer.

Dabei hätte das Datum durchaus Anlass für andere Erinnerungen geboten: Am 12. März 1938 marschierten nationalsozialistische Truppen in Österreich ein. Von der überwiegenden Mehrheit der Österreicher wurden sie begeistert empfangen. Am Heldenplatz verkündete Adolf Hitler vor einer jubelnden Menge den »Anschluss« Österreichs an das Deutsche Reich. Fast verschämt wirkt das Plakat, das von »25 Peaces« am früheren Führerbalkon angebracht wurde. »Den Opfern des Nationalsozialismus«, ist darauf zu lesen. Hier hat sich keine Menschenmenge versammelt.

»Spätestens seit dem Barock ist ja Feiern auch ein Teil der österreichischen Identität«, verkündete Bundeskanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) im November 2004 bei der Präsentation des Programms zum »Gedankenjahr«. Aus Anlass des Jubeljahrs hat die Regierung eine Homepage eingerichtet, die auf die Denkwürdigkeiten einer echten »Kulturnation« hinweist: 50 Jahre Fernsehen, 50 Jahre Wiedereröffnung von Burgtheater, Staatsoper und Hofreitschule.

Im Mittelpunkt der offiziellen Feierlichkeiten stehen allerdings zwei andere Jubiläen: 60 Jahre Zweite Republik, die quasireligiös beschworene »Wiederauferstehung« des unabhängigen Österreich. Im österreichischen Gründungsmythos wird das Jahr 1945 nicht als Befreiung von der NS-Diktatur präsentiert, sondern vor allem als das Ende der »deutschen Fremdherrschaft«. Des Endes der zweiten, daran anschließenden Fremdherrschaft wird mit dem Datum »50 Jahre Staatsvertrag« gedacht. Dieser 1955 zwischen Vertretern der österreichischen Regierung und den Alliierten unterzeichnete Vertrag markiert den Endpunkt des überaus beschwerlichen Kampfes um die volle Souveränität, die man den Besatzungsmächten in zehn Jahren abgetrotzt hatte.

Die Zahl der Sonderausstellungen, Diskussionsveranstaltungen und Festakte im Gedenkjahr ist enorm. Die »25 Peaces« wurden von Kanzler Schüssel beauftragt, dem einfachen Volk die richtigen Gedanken zu vermitteln. Vor allem die jungen Leute wolle man erreichen – und zwar dort, wo sie sind: »mitten im Spieltrieb«. »Populär, aber nie populistisch« sollen die Aktionen dem Presseinfo zufolge sein, »möglichst haptisch zum Mitmachen«. Ein besonders haptisches Happening musste allerdings schon gestrichen werden: McDonald’s hat seine Mitarbeit am »McCare«-Projekt verweigert. Es wird nun doch keine BigMacs in Verpackungen geben, die Care-Paketen ähnlich sehen. Doch eine Reihe anderer Projekte ist bereits vorbereitet: In ganz Österreich wird es Schwarzmarktspiele geben, Feinschmeckerrestaurants werden kalorienarme Wiederaufbaumenüs anbieten, und wie in der Nachkriegszeit soll am Heldenplatz Gemüse geerntet werden.

Creative Industries meets Nationalgeschichte: Was nach der kulturindustriellen Verwurstung übrig bleibt, sind die nationalen Mythen. Dass die Bombenangriffe besonders schlimm, die Entbehrungen der Nachkriegszeit besonders hart und die russischen Besatzer besonders grausam waren, weiß in Österreich jedes Kind. Über Opfer oder Täter hingegen wolle man nicht urteilen, das überlasse man den Zuschauern, so die Organisatoren der »25 Peaces«.

Damit steht man automatisch in der Tradition des österreichischen Opfermythos, der sich im Gedankenjahr so richtig austoben kann. Bundeskanzler Schüssel sagte bereits im Jahr 2001 der Jerusalem Post: »Die Nazis nahmen Österreich mit Gewalt. Die Österreicher waren das erste Opfer.« Und noch heute betrachtet die ÖVP ihre ideologischen Väter, die von 1934 bis 1938 regierenden Austrofaschisten, als ehrenwerte Widerstandskämpfer gegen das Naziregime.

Auch im etablierten Kulturbereich gibt man sich ganz staatstragend. Im September soll eine Bücherkiste mit 21 Bänden österreichischer Literatur erscheinen. Ursprünglich firmierte das von Günter Nenning, einem Mitarbeiter der Neuen Kronenzeitung, geleitete Projekt unter dem griffigen Namen »Austrokoffer«. Nun wird es »Landvermessung« genannt, und einige Literaten wirken im Herausgeberteam mit. Geblieben ist freilich der Austrokoffer-Spruch: »Das kleine Österreich ist eine kulturelle Großmacht.«

Auch wenn man betont, dass die Präsentation des bunt bemalten Koffers »abseits der staatlichen Feierlichkeiten 2005 und ohne Verquickung mit diesen« erfolgen wird, so ist das Ereignis wohl weniger autonom als behauptet. Auf der Homepage der Kampagne findet sich die allseits bekannte Feierparole, die die Regierung ausgegeben hat: »50 Jahre Staatsvertrag, 60 Jahre Republik, 10 Jahre EU-Beitritt«. Stilsicher hat man sie mit einem eigenen Zusatz ergänzt: »Und 2006: Österreichs EU-Präsidentschaft!« An diesem Einfallsreichtum kann sich sogar die Regierung noch ein Beispiel nehmen.

Aus: Jungle World, Nr.11, 16. März 2005

Plattform
60 Jahre Befreiung, 50 Jahre Staatsvertrag, 10 Jahre EU-Mitgliedschaft - im so genannten Jubiläumsjahr 2005 erlebt Österreich einen neuerlichen Schub an Geschichtsverzerrung und Chauvinismus, an Opfermythen und diversen rot-weiß-roten Identitätskonstruktionen.
Eine Aktionsplattform tritt gegen die national-konservative Jubelmaschine an
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