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Home » Texte » Bombenstimmung » Der Wille der Überlebenden

Der Wille der Überlebenden

Die Lagergemeinschaft Mauthausen Österreich hat als bislang einziger Opferverband ein schriftliches Vermächtnis verfasst und übergeben. Ein Interview mit Ingrid Bauz vom Internationalen Mauthausen Komitee über seine Bedeutung.

Was bedeutet das Vermächtnis im Umgang mit einer Gedenkstätte?

In dem Vermächtnis legen die Überlebenden fest, welchen zukünftigen Umgang sie sich mit den Gedenkorten wünschen. Dieser Teil ist natürlich sehr wichtig. Die Überlebenden äußern ihren Willen in Folge ihrer Erfahrungen. Vielerorts verdanken wir die Errichtung von Gedenkstätten ihrem unermüdlichen Drängen und Fordern. Wie bei uns in Deutschland gibt es auch in Österreich Bestrebungen, Gedenkorte um oder neu zu gestalten und dabei die Überlebenden zu übergehen. Heute können sie sich diesen Tendenzen noch entgegenstellen. In Zukunft müssen wir das tun, und wenn wir dabei ein schriftliches Vermächtnis in der Hand haben, in dem schwarz auf weiß nachzulesen ist, welchen Umgang die Überlebenden mit Gedenkstätten wollten, kann das hilfreich sein. Alle, die dieses Vermächtnis ignorieren, werden dann gezwungen sein, sich über den Willen der Überlebenden hinwegzusetzen und machen sich damit angreifbarer. Natürlich wird uns kein schriftliches Vermächtnis vor solchen Überschreitungen schützen, aber es kann uns den Rücken stärken. Ich bin mir fast sicher, dass der Wille der Überlebenden auch noch nach ihrem Tod Wirkung entfalten kann. Wie stark diese Kraft wird, liegt jedoch letztendlich an uns.

Wie beeinflusst das Vermächtnis die Arbeit der Jüngeren?

Ein schriftliches Vermächtnis fußt auf Vertrauen. Wenn wir es annehmen, dann sollte es uns auch Verpflichtung sein. Verpflichtung, indem wir z.B. sehr respektvoll mit dem „Erbe“ umgehen. Das wird vielleicht nicht immer leicht sein, denn die Überlebenden werden uns nicht mehr gegenüber sitzen, wir werden nicht mehr miteinander streiten und um Verständnis ringen können. Wir Jüngeren verfügen über keinen vergleichbaren gemeinsamen Erfahrungshintergrund, der uns zusammenhält. Die tiefe Bedeutung von Solidarität, über alle ideologischen Grenzen hinweg, die Leben gerettet hat, ist uns fremd. Wir haben keine Ahnung davon, was es bedeutet, überlebt zu haben, während täglich neben einem gestorben wird. Es sind diese Erfahrungen, die die Arbeit, die Zusammenarbeit, in den Interessensverbänden genährt haben. Dieser Erfahrungshintergrund kann nicht vermacht werden. Uns treibt anderes an, wenn wir uns für Gedenkorte einsetzen und Gedenken gestalten. Dieser große Unterschied macht sich in der gemeinsamen Arbeit oft bemerkbar und wird sich sicher auch in unserem Umgang mit einem Vermächtnis immer wieder bemerkbar machen. Manchmal erscheint uns politisch fragwürdig, was den Überlebenden sehr wichtig ist. Das Gleiche gibt es natürlich auch in umgekehrter Richtung, dass die Überlebenden unsere Anliegen überhaupt nicht nachvollziehen können. Ihr Vermächtnis anzunehmen, darunter verstehe ich nicht, eine Handlungsanleitung anzunehmen, sondern die Aufforderung, mich immer wieder zu fragen, ob das, was ich mache, den Kern dieses Vermächtnisses trifft. Ein Vermächtnis sollte unsere zukünftige Arbeit beeinflussen, es sollte sie jedoch nicht einengen.

Wie kann ein schriftliches Vermächtnis flexibel genug sein, um auf aktuelle Situationen reagieren zu können?

Es kann Orientierungen geben und Grundlagen formulieren. Niemand kann heute sagen, unter welchen politischen Verhältnissen wir in 10 Jahren leben und kämpfen werden. Und besonders die Gedenk- und Erinnerungspolitik unterliegt gegenwärtig einem grundlegenden Wandel. Ein Vermächtnis sollte auf möglichst lange Beständigkeit angelegt sein, damit es nicht in wenigen Jahren als vergilbtes Schriftstück im Keller der Archive endet. Vielleicht wird es erst in 10, 20 Jahren seine wirkliche Bedeutung erlangen. Dann, wenn wir von der nächsten Generation abgelöst werden, von denen, die nicht mehr in ihrem Gedächtnis nach den Gesprächen mit den Überlebenden suchen können.

Anmerkungen

Interview (gekürzt) aus: „ravensbrückblätter“ (04/2004), hrsg. von Lagergemeinschaft Ravensbrück / Freundeskreis e.V. (BRD)
ravensbrueckblaetter.de

Das Vermächtnis der Lagergemeinschaft Mauthausen:
mkoe.at/downloads/vermächtnis.pdfächtnis.pdf

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