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Home » Texte » Bombenstimmung » Formen des Vergessens: Von der Leugnung über die Relativierung zur Desavouierung.

Formen des Vergessens: Von der Leugnung über die Relativierung zur Desavouierung.

Vortrag über den „Revisionismus“, sekundären Antisemitismus und das Erinnerungsverbot. Von Heribert Schiedel.

Bei der Vorbereitung für den heutigen Abend ist mir bewusst geworden, dass der Titel zu ändern ist: Anstatt über die Formen des Vergessens möchte ich lieber über die Gefahren für die Erinnerung sprechen. Denn um etwas vergessen zu können, muss man es vorher gewusst haben. Aber das Wissen um die NS-Verbrechen – damit meine ich nicht nur die Präsenz von Fakten im Bewusstsein, sondern auch und vor allem die emotionale Besetzung dieses Wissens und die Konsequenzen, die daraus folgen – ist es ja, was so erfolgreich abgewehrt wurde und wird. Jedoch konnte es nicht nur bei der Abwehr bleiben, vielmehr musste im Antisemitismus nach und wegen Auschwitz (sekundärer Antisemitismus) mit den Opfern auch ihr Gedächtnis ins Visier geraten. Der Angriff auf die Erinnerung muss aber nicht immer (wie beim „Revisionismus“) ein unmittelbarer und beabsichtigter sein, es gibt auch so etwas wie objektive Gefahren für die Erinnerung. Von beidem wird im Folgenden die Reden sein.

Beginnen wir beim bösen Willen: Der mittlerweile zum Abgeordneten des Europäischen Parlaments aufgestiegene FPÖ-Vordenker Andreas Mölzer nannte im Februar 2000 als Ziel der FPÖVP-Regierung die „Überwindung des typisch deutschen und damit österreichischen Nationalmasochismus und die Gewinnung eines geläuterten, auf historischer Wahrheit beruhenden zukunftsfähigen Selbstbewußtseins des österreichischen Gemeinwesens“. (Zur Zeit, Nr. 5/00)

Dieser als „Selbstbewußtsein” verharmloste Nationalismus verträgt sich nicht mit der Erinnerung an die NS-Verbrechen, die maßgeblich von Österreichern geplant und begangen wurden. Das gilt insbesondere für die Shoah, der planmäßigen Vernichtung der europäischen Juden und Jüdinnen. Diese steht bis heute einer positiven Identifikation mit dem deutschen oder österreichischen Kollektiv im Wege. Darum sind es vor allem NationalistInnen, die versuchen, die Barbarei zu leugnen oder zu verkleinern, „um nicht der Möglichkeit jener Identifikation verlustig zu gehen" (Adorno 1975: 150).

Während die offene Leugnung der NS-Verbrechen („Revisionismus“) weitgehend auf neonazistische und islamistische/arabisch-nationalistische Kreise beschränkt ist, ist ihre Relativierung weit über diese Zirkel hinaus verbreitet. Mit der Rede von „Bombenkrieg“ und „Vertreibungs-Holocaust“ wird auch in nicht-rechtsextremen Medien versucht aufzurechnen, was nicht aufzurechnen ist. Die Täter-Opfer-Umkehr bedient ein weit verbreitetes Bedürfnis nach Entlastung und muss leider mittlerweile als hegemonial in der massenmedialen Öffentlichkeit bezeichnet werden. Insofern gab vor kurzem Mölzer in seinem Blatt „Zur Zeit“ (Nr. 50/04) zu Recht die Erfolgsmeldung aus: „Bereits seit zwei oder drei Jahren gibt es im Bereich der Geschichtsaufarbeitung des Sachbuchs oder der Filmdokumentation einen Trend, die deutsche Geschichte und die deutsche Identität frei von ewiger Selbstverdammung aufzuarbeiten. Bombenopfer, Kriegstote und Vertriebene werden dem Vergessen entrissen, wobei die Deutschen nicht mehr als Täter, sondern als Opfer dargestellt werden.“

Die ÖsterreicherInnen waren aber hier gegenüber den Deutschen bis vor kurzem eine Insel der Seligen: Weil die Alliierten glaubten so den Widerstand gegen den Nationalsozialismus in Österreich entfachen zu können, sprachen sie 1943 von Österreich als einem „Opfer“. Aus einem strategischen Entgegenkommen, das im Übrigen den Widerstand nicht wie erwartet ausweitete, machten die ÖsterreicherInnen und ihre politischen Eliten nach 1945 jedoch einen Persilschein. Mit dem bis Mitte der 80er Jahre hegemonialen Opfer-Mythos konnten nicht nur lästige Fragen vermieden, sondern auch alle Forderungen der tatsächlichen Opfer abgewehrt werden. Zudem wurde Österreich im Gegensatz zu Deutschland 1955 frei – vom Zwang sich mit dem Nationalsozialismus auseinander zu setzen, wie dies Josef Haslinger mal auf den Punkt brachte. Diese, nur durch den Staatsvertrag ein wenig eingeschränkte 50jährige Normalität begünstigte die Ausblendung der NS-Vergangenheit. Erst als ab Mitte der 80er Jahre im Vorfeld des österreichischen EU-Beitritts der Opfer-Mythos nicht länger aufrecht zu erhalten war, wurden auch außerhalb des deutschnationalen und rechtsextremen Milieus jene Formen der Abwehr von Schuld und Erinnerung notwendig, wie wir sie auch aus Deutschland kennen.

Als „Zivilisationsbruch“ (Dan Diner) stört die Shoah jedoch auch die FortschrittsoptimistInnen in ihrem blinden Glauben an die Zivilisation. War ihnen schon Freuds Hinweis auf das „Unbehagen in der Kultur“ eine narzisstische Kränkung, so können sie den Umschlag der Dialektik der Aufklärung in Barbarei nicht anders integrieren als dass sie letztere aus dem historischen Zusammenhang rausstellen: Auschwitz als Betriebsunfall einer Zivilisation, die eigentlich ein ganz anderes Ziel hat. Hier kann die an und für sich berechtigte Rede von der Unbegreifbarkeit und Unsagbarkeit dessen, was geschah, als Vorwand dafür dienen alle Versuche zu verstehen von vornherein für sinnlos zu erklären.

Es ist also nicht nur die Sucht nach positiver Identität und nach Normalität, welche die Erinnerung bedroht, sondern auch die nach einem positiven Sinn der Geschichte.

Noch kaum abzuschätzen ist die Gefahr für die Erinnerung, welche von der postmodernen Auflösung der historischen Wahrheit in einer Unzahl von „Erzählungen“ ausgeht. Hier will ich sie zumindest erwähnt haben.

Daneben ist es die Parteinahme für die (vermeintliche) Sache der PalästinenserInnen, die Feindschaft gegenüber Israel, die auch und gerade Linke gegen die Erinnerung anrennen lässt. Ausgehend von der nicht falschen Annahme, dass ohne die Shoah wohl der Staat Israel nicht existieren würde, tun sie alles, um nicht an das Menschheitsverbrechen erinnert zu werden. Da nur wenige Linke den Schritt zur offenen Leugnung wagen – wie z.B. der vormalige Chefideologe der KPF, Roger Garaudy – machen sie mit Norman G. Finkelstein einen Umweg über die behauptete „Holocaust-Industrie“, ein Begriff über dessen Urheberschaft übrigens die beiden Neonazis David Irving und Ernst Zündel sich streiten. Wenn antizionistische Linke auf den Nationalsozialismus Bezug nehmen, dann um die Opfer von damals und ihre Nachkommen als die TäterInnen von heute erscheinen zu lassen. Die in diesem Milieu beliebte Gleichsetzung von NS-Verbrechen mit dem israelischen Vorgehen in den besetzten Gebieten stellt wohl die perfideste Methode des Angriffs auf die Erinnerung dar.

Diese Methode findet nicht nur unter linken AntizionistInnen Anwendung, sondern auch unter TierrechtsaktivistInnen, die etwa von „Hühner-KZ“ oder „Holocaust auf unserem Teller“ sprechen. Dort, wo es nicht unmittelbar der Antisemitismus ist, der zu solchen Gleichsetzungen verleitet, muss von einer Instrumentalisierung fremden Leidens für die eigenen Zwecke gesprochen werden.

Dies gilt auch für die vor allem in sozialdemokratischen Legitimationsdiskursen militärischer Gewalt verbreitete Neigung, jüngere Verbrechen mit denen der Nationalsozialisten gleichzusetzen. Im öffentlichen Diskurs ist tatsächlich ein Formwandel der Abwehr festzustellen. Anstatt länger über Auschwitz und der eigenen Schuld zu schweigen, kommt heute fast keine Sonntagsrede ohne den Verweis auf das Unsägliche aus. Dieser dient nun aber nicht dem Abrufen der Erinnerung zum Zweck der Durcharbeitung und – damit verbundenen – Selbstreflexion, sondern hat andere Ursachen. So sprach der damalige deutsche Außenminister Scharping von der „Rampe in Srebrenica“. Und Hans Magnus Enzenberger entdeckte 1991 „Hitler in Bagdad“. „Man hat es nicht so eilig mit dem Schlussstrich unter die Vergangenheit, wenn sie der Abwehr dient.“ (Adorno 1975: 237)

Dieser Satz trifft auch die Blüten, welche seit einiger Zeit die sogenannte Holocaust-Education treibt: Da wurden etwa unlängst Hunderte Schulkinder angehalten, sich jeweils ein (bevorzugt jüdisches) NS-Opfer auszusuchen und ihm einen Brief in den Himmel zu schicken. Anstatt sie aufzufordern sich mit den Tätern auseinander zu setzen, wurden die Jugendlichen eingeladen sich mit den Opfern zu identifizieren. Aber, wie meinte unlängst der Wiener Planungsstadtrat Schicker im Zusammenhang mit einer Gedenkstätte am ehemaligen Aspangbahnhof: Das öffentliche Gedenken solle „niemanden verletzen“. Und damit waren nicht die Opfer gemeint.

Daneben ist es vor allem die kulturindustrielle Aufbereitung und Verwertung der NS-Verbrechen, welche die Abwehr nicht nur nicht stört, sondern vielmehr das kalte und leere Vergessen befördert, der Erinnerung ihren Stachel zieht: „Die massenmediale Kultur hat Auschwitz assimiliert. Das zu begreifende Unbegreifliche ist in eine triviale Banalität verwandelt worden (...). Die unterschiedlichen Gefühle von Schuld, die durch die massenmediale Konfrontation mit dem Verbrechen ausgelöst werden, werden am Bewusstsein vorbei in Sentimentalität verwandelt – eine Form des Kitsches, die der Unterhaltungsindustrie eigen ist.“ (Claussen 1995: 13) Die Kulturindustrie verwandle „Gewalt in folgenlosen konformistischen Genuß.“ (ebd.: 14) Der Erfolg der kulturindustriellen Aufbereitung der Shoah hat eine zentrale Ursache im Bedürfnis, sich selbst kein Bild und keinen Begriff machen zu wollen. Durch die Integration des Grauens in den herkömmlichen Erzählfluss und die gewohnte Bilderwelt verliert dieses seine monströse Einzigartigkeit. Den KonsumentInnen ermöglicht dies, der drohenden grenzenlosen Ohnmacht und Verzweiflung angesichts des Schreckens auszuweichen.

Schließlich ist es der sich permanent verstärkende Zwang zur Bejahung der schlechten Wirklichkeit, welcher auch negative Folgen für die Erinnerung hat. Eine Erinnerung an das Leiden und nicht unter dem Zwang des Positiven und falschen Ganzen stehend: Sie macht utopiefähig, wie Ernst Bloch betonte. Darum kämpfen die ApologetInnen des status quo zu aller erst gegen die Erinnerung an das Menschheitsverbrechen. Und von daher ist es kein Zufall, dass Rudolf Burger seine Wendung zum schwarz-blauen Hausphilosophen mit einem „Plädoyer für das Vergessen“ (Burger 2001) eingeläutet hat. Sein Kampf gegen die Erinnerung zielt auf den Kern des Judentums selbst. So heißt es im Talmud: „In jeder Generation muss man sich selbst so betrachten, als habe man selber am Auszug aus Ägypten teilgenommen.“ Um an den Träumen über die befreite Zukunft teilhaben zu können, müsse jede/r die Schrecken der Vergangenheit auf sich nehmen. Dieser innere Zusammenhang von Erlittenem und Erhofftem in der jüdischen Tradition wird auch in Walter Benjamins Geschichtsphilosophischen Thesen deutlich: Vor einem Bild von Paul Klee spricht er vom „Engel der Geschichte“, der die Zukunft ankündigt, sein entsetztes Antlitz jedoch der Vergangenheit zugewandt hat (vgl. Benjamin 1965: 84f).

Stirbt die Erinnerung, stirbt die Hoffnung. Und umgekehrt.

Literatur:

Adorno, Theodor W. (1975): Schuld und Abwehr, in: Ders.: Soziologische Schriften II. Frankfurt a. M., S. 122-398

Benjamin, Walter (1965): Geschichtsphilosophische Thesen, in: Ders.: Zur Kritik der Gewalt und andere Aufsätze. Mit einem Nachwort von Herbert Marcuse. Frankfurt a. M., S.78-94

Burger, Rudolf (2001): Irrtümer der Gedenkpolitik. Ein Plädoyer für das Vergessen, in: Europäische Rundschau, Nr. 2, S. 3-13

Claussen, Detlev (1995): Die Banalisierung des Bösen. Über Auschwitz, Alltagsreligion und Gesellschaftstheorie, in: Werz, Michael (Hg.): Antisemitismus und Gesellschaft. Zur Diskussion um Auschwitz, Kulturindustrie und Gewalt. Frankfurt a. M., S. 13-28

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