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Home » Texte » Der Führer rasiert sich

Der Führer rasiert sich

Von Martin Krusche

Es ist ja nicht gerade so, daß Hitler und seine Crew die Werbung erfunden hätten. Aber daß die Nazi-Barbaren in diesem Genre Maßstäbe gesetzt haben, steht wohl außer Frage. Ich denke, man kann ohne große Probleme belegen, daß sowohl die von ihnen entwickelten Methoden wie auch so manche Inhalte bis heute Bestand und Wirkung haben. Kurz, die PR-Abteilung der Nazi war furchterregend effizient. Weit über ihre Zeit hinaus.

Nun sind die große Gefolgschaft, die Bemäntelung ihrer Raubzüge und Massaker, der von ihnen geprägte "Life-Style" etc. von den Nazi nicht bloß mit Medieneinsatz erreicht worden. Da waren auch alle anderen Zutaten eines Terror-Regimes im Spiel. Dennoch ist es beunruhigend, in welchem Ausmaß sich Motive der Nazi-Propaganda auch heute in unserem Alltag finden lassen. Da sie auf eine Art aufbereitet und eingeführt sind, daß sie immer noch Zustimmung erhalten.

Um ein Beispiel zu nennen, einer der langlebigen Slogans, jener vom "unwerten Leben", wird uns in seinen Konsequenzen jederzeit von jenen Professionals bestätigt werden, die behinderte Menschen begleiten. Die Herabwürdigung von alten Menschen und eine völlig lebensfremde Überhöhung von "Jugendlichkeit" sehen wir in vielem umgesetzt, was in einem grassierenden "Jugendwahn" besonders als ein Verdienst der Werbebranche zu werten ist. Bulimie ist dabei nur eine mögliche Spielart, auf die Ideologie vom "lichten" und "reinen" Körper zu reagieren. Dabei ist heute keine "Reinheit des Blutes" im Gespräch. Zur Zeit sind Mikroorganismen auf die "Reinheit des Darmes" angesetzt, als nur ein Beitrag zum jugendlich straffen, unermüdlichen Körper jener sehnigen Windhundfiguren, die rassistische Edelmensch-Fantasien neu in Szene setzen.

Was die Verbreitung der "Goebbels-Schnauze", so nannten manche das Radio, angeht, ist es anno 2005 wieder interessant, zu prüfen, in welchem Maße ausuferndes "Format-Radio" mit den Beschallungs-Strategien im Dritten Reich korrespondiert. Ein aufklärerisches Potential wird man diesem Medium in seinen meisten Programmen kaum nachweisen können. Und so weiter und so fort...

Wenn also auch bloß gemutmaßt werden kann, die heutige Werbebranche profitiere noch von Mitteln und Motiven, die wir der Kreativität von Nazi-Barbaren verdanken, dann ist das wenigstens ebenso diskussionswürdig, wie der Umstand, daß die Medizin da und dort von den Arbeitsergebnissen des Doktor Mengele und seiner Kollegen profitiert.

Wir sind Künstler, keine Historiker, keine Soziologen. Unser Mittel, diese Dinge zu thematisieren, sind demnach solche der künstlerischen Praxis.

Wir haben unsere Arbeit genau bei diesem Lieblings-Motiv auch der heutigen Werbebranche angesetzt. Körperkult. Jugendlichkeit. Wir haben einen Moment herausgegriffen, da Hitler im "Deutschen Stadion" auf dem Nürnberger "Reichsparteitagsgelände" seine Erwartungen an "die Jugend" proklamiert hat. Sie möge "schnell wie Windhunde, zäh wie Leder und hart wie Kruppstahl" sein.

Wir schöpfen aus und inszenieren im Kontext. So heißt ja auch jenes "Teilstück" unseres mehrjährigen Vorhabens, worin "Führers Gel" erkennbar als Context Hijack realisiert wurde.

In diesem Genre hatten wir, neben anderen historischen Szenen, gerade erst den Herrn Hitler auf indirekte Art eingeführt. In einer Szene, da der Rennfahrer Bernd Rosemeyer sich im Rahmen eines neuen Rekordversuches mit Ferdinand Porsche unterhält, einem großen Ingenieur mit unglaublicher Distanzlosigkeit gegenüber Hitler.

Eine der Anregungen für den nun zur Debatte stehenden "Context Hijack" war ein Lied des Kabarettisten Pigor. In dem Hitler einen Werbespot absolviert. Was ja in der gegenwärtigen Konsumlogik auch dezent auf jene Konzerne verweist, die heute unseren Lifestyle ausstaffieren. Und zum Teil vor Jahrzehnten von den Arbeitssklaven der Nazi reichlich profitiert haben.

Als ich Pigor fragte, ob er es akzeptieren würde, daß wir ihn als Impulsgeber in der Sache nennen, schrieb ich ihm sinngemäß, ich habe lange nichts so Kluges zum Einspruch gegen die Dämonisierung von Hitler gehört. Wie dieses Lied "Hitler" aus dem Jahr 1996. Denn nur wenn man diesen Mann und seine Kumpane vom "Ikonen-Status" auf "Menschenmaß" zurückholt, ist es möglich, jenen Mechanismen nachzugehen, die aus Mitmenschen "Gegenmenschen" werden lassen. Um die Massaker zu ermöglichen. Wie sehr das Grauen vor allem in feinen, geradezu banalen Veränderungen des Alltags der Opfer, herbeigeführt von ganz "gewöhnlicher Menschen", begründet war, hat zum Beispiel Viktor Klemperer in seinen Tagebüchern eindrucksvoll beschrieben. Daß es zum Beispiel eines Tages den Juden verboten war, nach acht Uhr Abends sich noch im Treppenhaus aufzuhalten oder Mitbewohner zu besuchen. (Eintrag vom 20. Dezember 1940 in "Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten".) Pigor hat also ganz präzise einen Kern der Inszenierungen jener barbaren getroffen, wenn er singt "Der Führer rasiert sich ..."

Den Auftakt zur satirisch angelegten Bearbeitung solcher Zusammenhänge hatten wir allerdings in einem gegenwärtigeren Anlaß vorgenommen. Nach der Lektüre von Peter Handkes "Eine winterliche Reise zu den Flüssen Donau, Save, Morawa und Drina oder Gerechtigkeit für Serbien", einem Buch, das vor Jahren Kontroversen ausgelöst hat, die bis heute nicht verebbt sind, habe ich die Figur des Generals Ratko Mladic aufgegriffen. Mladic hat die Massaker an den Moslems von Srebrenica maßgeblich zu verantworten.

Wir nahmen uns das populäre Medium "Ansichtskarte" beziehungsweise "Grußpostkarte" vor. Bei der Arbeit an den "Postkarten von Verdächtigen" habe ich folgende Position als Ausgangspunkt markiert: "Wenn man ihn als Dämon betrachtet, sind die Gründe seines Handelns nicht entschlüsselbar. Sind die Gründe solchen Handelns nicht entschlüsselbar, lassen sich Massaker nicht verhindern. Er ist kein Dämon. Er ist mein Nachbar, mein Onkel, mein Bruder ..." [Quelle]

Dem folgte schließlich der Auftakt unserer Präsentation der fiktiven "Hitler. Die führende Pflegeserie". Daß diese Arbeit heftige Reaktionen hervorrufen könnte, war natürlich zu erwarten. Bemerkenswert erscheint mir an einigen Äußerungen, daß sie vorerst fast durchgängig sich auf die Betonung von Geschmacksfragen stützen. Sich also auf eine "trübe Kategorie" berufen, die nicht verhandelt werden kann: "solche geschmacklosen Werbemails", "...ich finds einfach nur geschmacklos."

Der nachvollziehbare, weil online dokumentierte Kontext blieb dabei völlig unberücksichtigt. Dafür waren sofort a) Strafandrohung in Aussicht gestellt ("Ich werde diese Mail an die Staatsanwaltschaft weiterleiten!") und b) uns künstlerisches Vermögen rundheraus in Abrede gestellt ("... wobei die neigung nicht selten in umgekehrter proportion zur künstlerischen potenz steht?")

Bemerkenswerte Reaktionen im Namen der Demokratie: "Besonders nach dem Eklat um die NPD im saechsischen Landtag und nach dem Gedenken an Auschwitz sollte man auf solche geschmacklosen Werbemails entschieden reagieren." Ich hab vor rund drei Jahren das Thema schon einmal aufgegriffen. Der Schauspieler Hubsi Kramar hat damals für einige Kontroversen gesorgt, da er anläßlich des Wiener Opernballes mitten in der Stadt den Adolf Hitler gab. (Später auch auf der Bühne.) Hier ein Blick auf diese Situation: "rsy sieht hubsi kramar sieht adolf" [Link]

Ich habe dieses Motiv in "Als ich Hubsi Kramar gewesen bin" weiter getragen, da mir zu der Zeit ein bemerkenswertes Dokument zugespielt worden war. Womit ein deutscher Anbieter, der heute noch gut im Rennen ist, Geschäfte zu machen gedachte. In dem er die Internet-Adresse (Domain) "Hitler.kz" zum Kauf anbot: "Sell books an DVD about National Socialism. Give enlightenment. Don´t hesitate! Make your business." [Doku]

Man sieht an solchen Beispielen, daß die Satire harte Konkurrenz seitens der Realität hat. Ein Statement von Marlene Streeruwitz war uns zu der Zeit Anlaß zu überlegen: "heil.hinkel! Nun stellt sich die Frage, ob es eine Hitlerparodie überhaupt geben kann."

Die Debatte verblieb damals im kleinen Kreis. Es wäre mir willkommen, nun eine Erweiterung zu erleben. Feedback ist äußerst willkommen!

Martin Krusche
der.krusche@kultur.at

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