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Home » Texte » Die Eröffnungsrede zur Viennale 2004

Die Eröffnungsrede zur Viennale 2004

Von Hans Hurch

Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Liebe Gäste und Freunde der VIENNALE!

Sie sind es an dieser Stelle vielleicht schon gewohnt von mir eine Art Bußpredigt zu hören, eine ernste Abrechnung mit dem Zustand der Welt. Sollte diese Erwartung bei Ihnen tatsächlich bestehen, will ich versuchen sie heute einmal zu enttäuschen. Der Grund ist weniger, dass wir in heiteren Zeiten leben, als eher, dass zu vieles ganz einfach lachhaft geworden ist. Die satirischen Züge treten in der Realität selber immer stärker hervor, zumal in unserer eigenen, der österreichischen.

Machen Sie einmal Folgendes: werfen Sie einen kurzen Blick auf die Homepage der Regierung und gehen Sie weiter zur „Website zum Jubiläumsjahr 2005“. Da finden Sie eine Liste an Aktivitäten vom Mauthausengedenken bis zur Lippizanerpräsentation und ihrem Blick bietet sich eine nicht unkomische Vision.

Angesagt werden in einer Reihe:

60 Jahre II. Republik
50 Jahre Staatsvertrag und Unabhängigkeit
50 Jahre Mitglied der Vereinten Nationen
50 Jahre Wiedereröffnung des Burgtheaters
50 Jahre Wiedereröffnung der Staatsoper
50 Jahre Fernsehen
10 Jahre Mitglied der Europäischen Union

Man darf also, das ist mit der Aufnahme von Burg, Oper und Küniglberg in die Reihe der politischen Jubiläen offiziell festgestellt, nächstes Jahr die geradezu programmatische Wiederbelebung eines alten, restaurierten Kulturbegriffs erwarten. Sozusagen einen einzigen gewaltigen rotweißroten Austrokoffer. Vielleicht geht es aber—die Nennung des ORF legt diese Vermutung nahe—auch nur darum, die vollständige Indienstnahme kultureller Institutionen durch die Politik zu feiern. Durch eine Politik, die einmal großmäulig deren Entpolitisierung versprochen hatte. Es ist also einiges zu erwarten. Nur eines erwarte ich mir bei diesen Republik-Feiern nicht: die Frage, was eigentlich eine Republik ist, was sie sein kann, sein muss.

Unter Republik verstehe ich ein demokratisch verfasstes Gemeinwesen. Republik ist die Negation von Monarchie, Republik ist das Gegenteil von Oligarchie oder Despotie. In der Republik sollen sich die Vielen von den wenigen Regierenden repräsentiert fühlen und diese sollten die Interessen der Vielen gegen die Interessen von Stärkeren durchsetzen und verteidigen, die jene bedrohen. Und sie sollen sich bei der Ausübung ihres Amtes und ihrer auf Zeit geliehenen Macht von den Vielen auf selbstverständliche Weise kontrollieren lassen.

Meine Damen und Herren, diese Regierung ist ja mit den ständig wiederholten Versprechungen angetreten, alles besser und alles anders zu machen. Neu zu regieren. Für die Fehler der Vergangenheit waren andere verantwortlich. Selber war man hauptsächlich damit beschäftigt, das Chaos aufzuräumen, das jene anderen verursacht hatten. An die Stelle zweifelhafter Akteure würden nun helle Gestalten treten, Erlöser von den Sünden der Vergangenheit. Sie versprachen uns ein Ende der Misswirtschaft, freie Bahn dem Tüchtigen, einen unparteiische Politik, die dem Staatsbürger dienen und das Ende für unfähige und korrupte Funktionäre bringen sollte.

Eine effiziente Politik sollte an deren Stelle treten, eine Verwaltung, die das unerträgliche Diktat der alten Kaste zerbrechen würde, eine Republik, die sich schlank und effizient in den Dienst der öffentlichen Sache stellt, eine Sprache, die jenseits des unverständlichen Politjargons sagt, was Sache ist. Kurz: die Rede war von einer republikanischen Politik in unser aller Interesse.

Was aber haben wir bekommen? Eine Verwaltung, die sich arrogant außerhalb jeder Kontrolle stellt, eine Funktionärsclique, die unter dem Titel „Privatisierung“ den Ausverkauf öffentlichen Eigentums betreibt und als politische Sprache bekamen wir erst die aggressiv aufgeputschte Agitation, dann eine wehleidige Schulterschlussrhetorik und selbstgerechte Phrasendrescherei. Und schließlich als Krönung und Fundament des Ganzen: das Schweigen des Kanzlers. Die große schweigende Gelassenheit. Sehr geehrte Damen und Herren, Sie meinen, ich klinge schon wieder bitter und nicht, wie versprochen, ein wenig heiter? Keine Angst. Richtig lustig wird es erst in der Kultur.

Da steht etwas das Kunsthistorische Museum seit Wochen und Monaten im Mittelpunkt einer gewaltigen Realsatire. Sie begann, als ein Dieb die Saliera entwendete. Dieses goldene Salzfass des Benvenuto Cellini stellt eine Allegorie der Erde dar. Ihr Diebstahl, so meine ich, führt uns zu einer Allegorie unserer Situation. Der Dieb gelangte, wie bekannt, in das Museum über ein Baugerüst, das nur deswegen noch am Museum stand, weil es ein riesiges Wahlplakat des Kanzlers zeigte. Die Bauarbeiten waren längst abgeschlossen.

Dieses von einem führenden kulturpolischen Kopf der Wende geleitete Museum hatte zwar eine Alarmanlage, diese Alarmanlage funktionierte aber so ähnlich wie Öffentlichkeit und Gesellschaftskritik in Österreich. Jedes Mal, wenn es Alarm gab, schaltete der Wächter sofort die Anlage ab, ohne überhaupt auf den Monitor zu schauen. Ebenso reflexartig entledigen sich Politiker der Kritik der Öffentlichkeit und schalten ab, wenn ein Künstler oder Philosoph oder ein engagierter Verantwortlicher Alarm schlägt. Wenn allerdings ein solcher kritischer Alarmgeber oder eine Alarmgeberin einmal einen bedeutenden internationalen Preis bekommt, beeilen sich jene Wächter, die sonst nur Abwinken und Abschalten kennen, als erste zu gratulieren. Vielleicht ist das vor allem, um auch mit auf den Monitor zu kommen.

Ich möchte nicht so weit gehen zu behaupten, dass es sich beim Diebstahl der Saliera um eine Privatisierung gehandelt habe. Obwohl—wie ich kürzlich gelesen habe—„privare“ auf Lateinisch rauben heißt. Was heißt also Privatisierung anderes als Beraubung?

Der Raub der Saliera war dennoch keine Privatisierung wie etwa jene der Tabakwerke, die unter Preis ausverkauft wurden. Oder jene stümperhaft missglückten Privatisierungsversuche wie bei der Telekom Austria, wo öffentliches Eigentum und gesellschaftlicher Reichtum vernichtet, verschleudert oder entwertet wurde. In jedem Falle seinen Eigentümern, den Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern der Republik entwendet wurde. Nein, der Raub der Saliera war keine solche Privatisierung. Er war vielmehr eine Allegorie der Privatisierung.

Das Kunsthistorische Museum, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist eine Allegorie des allgemeinen politischen Zustands: Man hat die Republik gestohlen und keiner hat’s bemerkt.

Der Museumsdirektor, der nach dem Diebstahl seine täppischen Privatermittlungen anstellt, gleicht jenem Finanzminister, der in diesen Tagen ratlos seine verlorenen Budgetmillionen sucht. Auch herrscht bei beiden eine auffällige Verwirrung, was die Trennung von Privatgeschäften und Amtsgeschäften betrifft. Merkwürdige Reisen, Einkäufe, Überweisungen, Spenden und Firmen, mit denen man alles und doch wieder nichts zu tun hat und so weiter zeichnen ein Bild von politischen Individuen, die sich außerhalb jedes Verwaltungsgrundsatzes und jedes Rechtsstandards stellen, deren Einhaltung von jedem anderen Staatsbürger selbstverständlich verlangt wird. Wer aber zu herrschenden Kaste gehört, steht nach seinem eigenen Empfinden offenbar außerhalb dieses Rechts, oder oberhalb.

Wie ist es sonst zu erklären, dass der zuständige Kunststaatssekretär auf öffentliche Kosten unter den für diesen Anlass gewiss nicht versicherten Gemälden El Grecos im Museum seine private Geburtstagsfeier abhält. Dieser Umstand passt ebenso gut in den Rahmen unserer Allegorie wie die zynische politische Kameraderie einer zuständigen Ministerin, die wider aller Einsicht beharrlich an ihrem bestohlenen und vom Rechnungshof vernichtend kritisierten Museumsdirektor festhält.

Zur Allegorie der österreichischen Regierung gehört diese Kaste selbstgerechter, sich jeder öffentlichen Kontrolle entziehender Machthaber und Funktionäre, die auch nichts dabei findet, wenn der selbe Direktor programmatisch einer „kaiserlichen Hoheit“, wie er Otto Habsburg nannte, seinen untertänigsten Gruß entbietet. Sie fordern dann, wie der Kanzler, der sich in dieser Kontroverse doch ausnahmsweise zu Wort meldete, „mehr Demut vor historischen Figuren“. Ich würde meinen, es kommt immer darauf an, vor welchen Figuren. Ich halte dies für eine offiziöse Art von Republikverhöhnung durch Untertanen, die nach oben gelangt sind und nun selber herrschen. Mit Republik hat das nichts zu tun, aber dagegen zu revoltieren ist sinnlos. Darüber kann man nur lachen, wenn man noch lachen kann.

Oder man kann nach Gegenentwürfen suchen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn es die Kultur der Herrschenden ist, sich dem Gespräch, den Fragen, der Kritik zu entziehen, dann ist es unsere Aufgabe, Gegenentwürfe und Anregungen zu dieser fraglosen und autokratischen Welt anzubieten. Das ist es, was die VIENNALE in diesen Tagen versucht. In jenem Labor der Kunst nach dem Stoff zu forschen, aus dem die res publica gemacht ist. Die gemeinsame Sache unter Gleichen. Die Formen, die Geschichten, die Sprachen, die Bilder und Töne, das Material der Welt ist unendlich. Und es ist spannend, ernst und lustvoll. Und immer wieder heiter.

viennale.at

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60 Jahre Befreiung, 50 Jahre Staatsvertrag, 10 Jahre EU-Mitgliedschaft - im so genannten Jubiläumsjahr 2005 erlebt Österreich einen neuerlichen Schub an Geschichtsverzerrung und Chauvinismus, an Opfermythen und diversen rot-weiß-roten Identitätskonstruktionen.
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