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Die Event-Manager

Presseschau: Jeder darf alles erleben? Eine Kritik am "Projekt im öffentlichen Raum" für das "Gedankenjahr" 2005. Ein "Presse"-Gastkommentar von Alfred Goubran.

Es ist schwierig, über den Schrecken zu sprechen. Es braucht eine Sprache, das Erlebte in Worte zu fassen, die Bilder, die man geschaut hat, zu erzählen, und viele, die den Zweiten Weltkrieg miterlebt haben, mussten es sich von ihren "aufgeklärten" Kindern vorwerfen lassen, dass sie dazu nicht in der Lage waren. "Schweigen oder sprechen" (S. Fischer, 2003) hieß ein Auskunftsbuch über Dieter Forte, der als Junge die langen Jahre der Bombardierung in Düsseldorf miterlebt hat. Darin sagt er: "Es gibt ein Grauen jenseits der Sprache, ein unaussprechliches Entsetzen, es gibt Augen, Münder und Schreie, das ist nicht mehr zu artikulieren. Es wird untergehen mit denen, die es erlebt haben."

Da das Erlebte nicht ungeschehen gemacht werden kann, entscheidet sich alles daran, wie mit dem Erlebten umgegangen wird. Der Einzelne hat für sich seine Wahl getroffen. Die es nicht erlebt haben, können die Erinnerung an das Grauen wachhalten, es im Gedächtnis behalten. Forte: "Wenn es nicht durch verdichtendes Erzählen von Generation zu Generation weitergegeben wird, sich tief einprägend, sodass es zum unvergessenen Schreckensbild im Erzählen wird, ist es für die Nachkommenschaft verloren. Ich glaube nicht, dass man sich in einem Universitätsseminar über die restlichen Fakten beugen kann, um mit fast naturwissenschaftlichem Interesse nachzuschauen, wie das damals so war."

Aber es gibt Schlimmeres. Es gibt die Verhöhnung dessen, der diese Schrecken erlebt hat. Und diese Verhöhnung geschieht nicht etwa durch Menschen, die das Geschehene leugnen, sondern durch Menschen, die sich einbilden, man könnte diese Schrecken anderen näher bringen, wenn man nur so tut, "als ob". Das ist Showbusiness. Suchscheinwerfer am Heldenplatz, heulende Sirenen, das Geräusch der Bombendetonationen. Das ist der verheerende Bombenangriff auf Wien am 12. März 1945, wie er am 12. März 2005 als "Projekt im öffentlichen Raum" im Jubiläumsjahr 2005 nachgestellt wird, wenn es nach den Ideen der Herren Lorenz und Springer geht, beide honorige Mitbürger, der eine "ORF-Mann" und Ex-Intendant von Kulturhauptstadt Graz 2003, der andere Geschäftsführer der Österreichischen Bundestheater. Endlich kann man den Krieg, den man nicht erlebt hat und von dem so viel gesprochen wurde, gefahrlos erleben, ohne sich in einen Bunker flüchten zu müssen, unbedroht von der Gefahr, im Löschwasser zu ertrinken oder von einer einstürzenden Kellerwand erschlagen zu werden. Lorenz&Springer machen's möglich. Jetzt können wir mitreden: 9/11, Irak, Madrid, das ist ohnehin nur auf den Bildschirmen passiert, und was die meisten Filmdokumente aus der Weltkriegszeit betrifft, so sind die wenigsten davon in Farbe.

Aber geht es nach dem Projektmaterial, das den Köpfen von Lorenz&Springer entsprungen ist, so kann nicht nur jeder alles erleben, es darf auch jeder jeder sein, um "jener Generation, die den Krieg und den Wiederaufbau nicht erlebt hat, eine Möglichkeit zur Identifikation zu bieten". Wenn Sie jetzt zum Beispiel gerne der Herr Figl wären und immer schon gerne die berühmten Worte "Österreich ist frei" auf dem Balkon des Belvedere ausgesprochen hätten, so werden Ihnen Lorenz&Springer im nächsten Jahr dazu Gelegenheit bieten: Der Balkon wird 1:1 nachgebaut und auf einem Kranwagen durch Österreich reisen.

Wenn Sie dann, als Nachgeborener, den Krieg am Heldenplatz erlebt haben, wird dort, geht es nach Lorenz&Springer, ein Teppich aus tausend weißen Kreuzen aufgelegt, die den Heldenplatz in einen Friedhof verwandeln. Das wird Sie berühren, obwohl es nur symbolisch gemeint ist. Dann wird sich der Heldenplatz in einen Kartoffelacker verwandeln, "was er ja früher auch wirklich einmal war". Als Nachgeborener sind Sie damit sicher um ein Stück Unwirklichkeit reicher, als einer, der es erlebt hat - na ja.

Sämtliche Projekte von Lorenz&Springer sollen übrigens durch Sponsormittel aus der Wirtschaft finanziert werden. Dass auch das nicht geschenkt ist, versteht sich von selbst. So sollen Care-Pakete verteilt werden, die McDonald's sponsert. Auch das eine Verhöhnung: War damals die Anteilnahme die treibende Kraft, ist es heute, über den Umweg der Werbung, der Profit.

Alle Projekte laufen unter "Die Zukunft der Vergangenheit". Was soll das sein? Die Zukunft der Vergangenheit ist die Gegenwart. Die wollen uns Lorenz&Springer im "Gedankenjahr", wie die Regierung titelt, gestalten. Was soll das wieder sein: Ein Gedankenjahr? Gibt es ein Jahr, einen Tag, eine Stunde ohne Gedanken? Man hat sie, wie man eine Verdauung hat. Das eine befähigt uns zu denken, das andere zu verdauen. Aber man muss, was die Gedanken betrifft, von dieser Fähigkeit, wie uns die "Projekte" zum Jubiläumsjahr belegen, keinen Gebrauch machen. Anders gesagt: Die Gedanken sind frei. Besser, das Denken wäre es? Bleibt noch die Frage, welches Logo auf den Kreuzen prangen wird - Lorenz&Springer?

Alfred Goubran ist Autor und Verleger (edition selene). Zuletzt erschien von ihm: "Der parfümierte Garten. Ein Handbuch arabischer Liebeslehre", "Der Pöbelkaiser".

Plattform
60 Jahre Befreiung, 50 Jahre Staatsvertrag, 10 Jahre EU-Mitgliedschaft - im so genannten Jubiläumsjahr 2005 erlebt Österreich einen neuerlichen Schub an Geschichtsverzerrung und Chauvinismus, an Opfermythen und diversen rot-weiß-roten Identitätskonstruktionen.
Eine Aktionsplattform tritt gegen die national-konservative Jubelmaschine an
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