Republik Österreich 2 in Frühpension?
Österreichs Jubiläum eines halben Jahrhunderts aus zweiter Republik? Dazu kann man nur Glossen reißen. Klar, dass die regierenden Parteien das Jubilare dazu benützen werden, um den Eindruck zu erwecken, als hätten sie den Staat voll und ganz in ihr Eigentum übernommen; der Staat, das wären sie, und sie wären der Staat. Und die Opposition hätte demzu Bejubelnden immer nur im Wege gestanden, besonders während der Jahre ihres früheren Regierens.
Allerdings verhält sich das so ähnlich auch in anderen westlichen Staaten, klar. Die Bundesrepublik Deutschland etwa rüstet nun für die Fußballweltmeisterschaft in ihr als rot-grünes Ereignis auf. Aber man darf erwarten, dass österreichisch in solcher Staatsaneignung durch Parteien der Vogel abgeschossen wird. Schon auf der Hand liegt, dass anders als in der Bundesrepublik Deutschland die Opposition nur konstruktiv bei Fuß steht, während sie in Deutschland alle Wege prüft, auf denen man der Regierung für ihre Selbstbewerbung den Geldhahn zudrehen könnte. Also man ist da alles andere als konstruktiv, ja, man riskiert lieber die Möglichkeit einer internationalen Blamage, als dass man das Parteieninteresse zudeckeln ließe.
Ganz anders in Österreich, da kennt man zum Jubiläum auf der einen Seite keine Parteien mehr, man kennt nur noch Österreicher, auf der anderen Seite aber kommt heraus, dass dieses unparteiisch einheitliche Österreich denn doch ÖVP-Angelegenheit ist, während die anderen solchem immer fremd gegenüber gestanden hätten bis zu Vaterlandsverrat, wie die ÖVP in Kampagnen unterstellte. Nach was die Aneignung von Allem und Jedem durch die Hauptregierungspartei bei Assistenz des Juniorpartners auszusehen vermöchte, hat neulich Wolfgang Schüssel wieder vorgespielt. Ich habe das selber im deutschen Fernsehen gesehen, wie der Kanzler anlässlich der Verleihung von Literaturpreis an Elfriede Jelinek vorsprang und aller Welt klarmachte, dass ja in Wahrheit der Literaturnobelpreis ihm zugesprochen worden wäre. Denn er habe ja die Voraussetzungen für Jelinek-Literatur geschaffen. Die Jelinek habe nur ausgeführt, was er von ihr erwartete. Und so solle das jeder Österreicher tun. Also beitragen zu Staatsloyalität und Wettbewerbsfähigkeit, Kanzlersicht auf Kultur aus der Ferne. In derartige Richtung wirkte der Schüsselauftritt anlässlich der Angelegenheit.
Im übrigen aber ist man dabei, auf solchem geistigen Hintergrund, der darauf aus ist, Einspruch gegen sich, wo dieser gerade wegen internationaler Aufmerksamkeit sich nicht einfach unterdrücken oder austrocknen lässt, zu seiner Stütze umzufälschen, auf solchem Hintergrund ist man also dabei, fleißig von den merkwürdigen Strukturen östlicher, südöstlicher Halbdemokratien und deren Legitimationsverfahren zu lernen und umzusetzen. Etwa im östlich-südöstlichen Halbdemokratismus wurde erfunden, dass Nichtwählen eine anzuerkennende Stimme gegen demokratische Entscheidungsprozesse sei: Wahlungültigkeitbei zu geringer Wahlbeteiligung. Während die Struktur repräsentativ-parlamentarischerDemokratie geradezu davon abhängt, dass Nichtwählen gleichermaßen wählen heißt wie Wählen selber. Aber östlich halbdemokratische Vorstellungen scheinen sich nun zu regen in der Politik gegen die Österreichische Hochschülerschaft.
Ja, die Rede von der 3. Republik ist gar nicht so aus der Welt. Hoffentlich ist noch nicht vergessen, dass diese Idee samt Wortbild von Jörg Haider stammt und Programmstichwort war für ein Bündel von Entdemokratisierungen, so nach Vereinigung von Bundespräsidentschaft mit Bundeskanzlerschaft Direktwahl dieses Superstaatschefs durch das Volk (stärker entdemokratisierend als der Gaullismus in Sachen dieser Struktur) samt Parlamentseinschränkungen. Selbst wenn Haider sich in den Hintergrund zog und dieThematik 3. Republik nicht mehr auf dem Tisch liegt, Entdemokratisierungen laufen, wie die Hochschulreform bewährt. Sollte nicht das Hochschulfeld eine Art Experimentiergelände sein für Durchsetzen von Entdemokratisierungen? Also 3. Republik in Ansätzen? Dann wäre dem Jubiläum der Boden entzogen, und es ginge vielmehr um eine Abschiedstrauerfeierlichkeit: "Brüder, nun Adé,...". Republik Österreich 2 geht in Frühpension, oder ist vielmehr, wie sichbei solchem Alter gehört, seit dem ersten Lebensjahr in voller Diensttätigkeit, längst schon in Frühpension gegangen?
Einer derartigen Atmosphäre entspricht, wenn die "Presse", nach einem journalistischen Bild "Flaggschiff" des österreichischen Journalismus und immer vom Anspruch begleitet, die FAZ Österreichs darzustellen, heute als Star- und Leit-Kommentatoren solche wie Mölzer, Strache, Stadler heraushängt. Sie wirkt mittlerweile gleich einer Burschenschaftler-Zeitung jener Burschen, die Ursprungs- und Verratsgeschichte der Burschenschaften nicht wahrhaben wollen. So Strache, wenn er in der "Presse" sich darauf beruft, auch Marx sei Burschenschaftler gewesen, dann unterschlägt er, dass die Burschenschaften anno dazumal so etwas waren wie der SDS später 60er Jahre und dann die Grünen in den 70er Jahren vorigen Jahrhunderts. Und dann kam 1871, mit diesem Jahr fälschten die Burschenschaften diebürgerliche Freiheitsforderung um in "Freiheit für das deutsche Volk", überall in der Welt herumzuberserkern. Von solcher Lüge leben die Burschenschaften noch heute, und wie man sieht, sie leben in der "Presse" und den Hochschulräten wieder auf.
Das Große Zurück in Österreich. Denn was ist der Morak-Nenning’sche "Literaturkoffer" anderes als das angestrengte Bemühen darum, die österreichische Literatur der letzten Jahrzehnte, wie sie auf internationaler Ebene sich überproportionale Geltung verschafft hat, in die Folklore einzuholen? Da gab es ja auch schon die programmatische Morak-"Vision", Studenten der Kunsthochschulen sollten, wo sie eventuell nicht genügend Arbeitsplätze im Restaurierungsbetrieb, also in dem Herausputzen der Touristen-High-Lights fänden, sich ausrichten auf die österreichische Glasbläserei und sich dort und in so vielem Verwandten "kreativ" einbringen. Ich glaube ganz sicher, Morak hätte Sinn für den Vorschlag, der österreichische Staatspreis für bildende Künste sollte in Zukunft nur noch an Werke der Wohnzimmerbild-Produktion aus der Galerie Otto etwa ergehen. Das ließe sich sogar wunderschön demokratisationell demokratielispelnd verbrämen. Denn diese Werke sind Teamproduktionen, weg vom veraltet autoritativen Künstlergenie. Und sie lassen sich in Bälde computergestützt fertigen, also zwar nicht auf Bayrisch High-Tech und Lederhose, sondern High-Tech und Steirer Anzug, beides mit Gamskruckenknöpfen.
Aber an solchen Zurücks kann man sich ja teilweise noch blödelnd und schmäh-lend delektieren. Anders schaut das aus mit dem Zurück im österreichischen Selbstverständnis der eigenen Geschichte. Da hatten die 80er Jahre endlich Ansätze zu Aufklärungsarbeit gebracht, wie sie in der Bundesrepublik Deutschland seit Beginn der 60er Jahre (Frankfurter Prozesse)anlief und in den Lehrplänen der Schulen schon sehr viel früher präsent war. Und die Aufklärungsansätze österreichischer 80er wurden mit Frühjahr 2000 zurückgepfiffen, als Stimmen wie Schüssel und Gauß wieder Österreich als Opfer statt als Täter in den betonten Vordergrund rückten. Die gerade durch die Schüssel-Regierung realisierte Bereitschaft endlich zu materiellen Wiedergutmachungsleistungen? Dieser Bereitschaft geht es doch nur um die Rechtssicherheit im internationalen Handels- und Geldverkehr, die Rechtssicherheitwollte man zum Dumping-Preis einkaufen. Das wird heute, wo man ständig auf der Forderung nach Garantie der Rechtssicherheit herumhämmert, besonders klar: Ohne Garantien keinen Cent Auszahlung, obwohl die Garantien gar nicht von den Opfernabhängen, sondern von der Rechtspolitik großer Staaten. Also Schlussstrichmentalität, wie sie früher nur bei Rechtsradikalen herrschte, ist nun offizielle Politik geworden. Und dasGehämmere, das auch die Geschichtsbücher schon wieder, fast wie jenerzeit im Ostblock, umschreiben möchte, begleitet das Avancement des Austrofaschisten Engelbert Dollfuß nun endgültig zum Märtyrerheiligen österreichischen Demokratieverständnisses, alles gegen jene Aufklärungsanschübe der 80er Jahre.
Und das ist es, was einem Nichtösterreicher Österreich so merkwürdig fremd vorkommenlässt. In den 60er Jahren wäre ich nie nach Österreich gekommen, weil mir das Land katholisch-konservativ vorkam, von einiger Natur- und Technikwissenschaft abgesehen, ohne Aufklärungsatmosphäre. Denn die in Aufklärung bedeutenden Österreicher lebten ohnehin im Ausland, und der wichtigen österreichischen Literatur wie bildenden Kunst begegnete man dort ebenso gründlich genug, desgleichen den österreichischen Architekturabenteuern. Schließlich machten sich etwas die Haus Rucker nicht über Österreich international bekannt, sondern über das Haus Lange in Krefeld und so weiter.
Musik- und Theaterveranstaltung konnte man ja als vorbei kommender Gast hin und wieder wahrnehmen. Es ist ja bedenkenswert, dass Theater und Musik sich an zwei Orten sich fürlange und bis heute als Leitkünste durchsetzten aus entgegengesetzten und sich dochirgendwie gleichenden Gründen: in London unter dem Antikunstdruck des Puritanismus, in Wien mit Kunst als Propaganda- und Didaktikinstrument vormaliger Jesuiten. Erst in den 70er Jahren begann in Österreich selber ein Aufklärungsprozess, in dem Österreich Anschluss gewann an die geistigen Atmosphären in Frankreich, England, Bundesrepublik Deutschland, so dass es gleichgültig wurde, wohin man sein Leben richtete, es konnte nun auch Österreichsein. Doch nun ist es schon wieder soweit, dass es kein Motiv mehr gäbe, sich auch nur teilweise in Österreich niederzulassen, aus den alten Gründen. Wäre ich nicht schon, gleichsam hereingelegt, hier niedergelassen, allerdings seit etlichen Jahren zum Glück nur noch partiell. Nun bleibt Leuten meiner Lage nur noch die Hoffnung, dass die metropolischen Züge Wiens sich den Verdörflichungs- und Folklorisierungsprogrammen aus ÖVP und FPÖ widersetzen werden, wenigstens mit etwas Erfolg.
Burghart Schmidt ist Philosoph und Professor an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach/Main.
Aus: Kulturrisse 0404, Dezember 2004.