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Jubiläumsjahr 2005: Vorsorgepaket gegen Eventpatriotismus

Von Therese Kaufmann

Es dräut etwas herauf. Es rollt daher, breitet sich aus in Politik, Medien und Kultur. Es scheint unaufhaltbar und es wird nur wenige Winkel geben, wohin es nicht vorzudringen versucht. Es bestimmt die Themen, macht ein Spektakel und vernebelt die Wahrnehmungen. Aber man wird sich stolz und zusammengehörig fühlen, ein bisschen in Erinnerungen schwelgen. Das Jubiläumsjahr 2005 steht uns bevor: 60 Jahre Zweite Republik und Kriegsende, 50 Jahre Staatsvertrag und 10 Jahre EU-Mitgliedschaft sollen Anlass geben zum Feiern.

Nationaler Schulterschluss gemischt mit Opfermythos und rot-weiß-rotem Chauvinismus als flächendeckendes Programm machen Geschichtsverzerrung und Ausblendung noch leichter als bisher: Die Perspektive auf 60 Jahre Befreiung durch die Alliierten 1945 wird lieber unterschlagen, um sich nicht mit der eigenen TäterInnenschaft auseinander setzen zu müssen. "Frei" wurde das Land angeblich erst 1955. Ein anderer Jahrestag, der bei genauerem Hinsehen in einer klaren Traditionslinie mit dem Faschismus in Österreich steht, wird in dem Trubel wahrscheinlich eher untergehen: 2005 sind die Morde an vier Roma in Oberwart 10 Jahre her.

Die Maschine ist schon voll angelaufen. Bundeskanzler Schüssel hat Anfang November das offizielle Programm präsentiert. Vom Medien-Mainstream bis zur Bischofskonferenz sind alle dabei. Die "Kulturnation" kann sich anlässlich der Jubiläen der Wiedereröffnung von Burgtheater und Staatsoper perfekt selbst inszenieren. Der ORF freut sich über den "größten Programmschwerpunkt", den er "jemals produziert und veranstaltet hat". Im Vordergrund stehen u.a. ganz im Trend von Reality-TV das "Alltagsleben in der Nachkriegszeit" und Unterhaltung mit einem "Best of" des österreichischen Films. Kunststaatssekretär Franz Morak ist für die Vorbereitung von "Österreich 2005" zuständig und setzt auf dessen Kapazität als "Trampolin für die Zukunft". Dass das Ganze weitaus weniger stringent konzertiert ist, als man denken möchte und zum Teil ein wildes Sammelsurium nur am Rande mit den historischen Anlässen in Verbindung stehender Veranstaltungen in ganz Österreich, tut der Feierlaune keinen Abbruch. Es zeigt aber auch, wie beliebig sich unter dem Jubiläum alles mögliche und zu allen möglichen Zwecken hineinstopfen lässt. Wolfgang Lorenz, ehemals Intendant von Graz 2003 und Planungsstratege des ORF, plant beispielsweise um zehn Millionen Euro Sponsorengelder "polarisierende Inszenierungen im öffentlichen Raum": Die Nachstellung einer Bombennacht des März 1945 in Wien sowie Soldatenfriedhof und Kartoffelacker als Erlebnispark auf dem Heldenplatz. Geschichtsvermittlung "für junge Leute" und Eventpatriotismus werden effektiv für eine Österreich-Marketingstrategie verknüpft.

Um sich gegen all das zu wehren, wurde von ein paar Leuten und Organisationen aus Kultur, Wissenschaft, Medien und Aktivismus eine offene Plattform gegründet, die an Gegenstrategien arbeitet, konkret an einem "Vorsorge-Paket gegen ein Jahr Heimat Feiern". Eine neue Website unter dem gleichen Titel – www.oesterreich-2005.at - bildet die Basis für die Vernetzung von Veranstaltungen, Publikationen, Medienprojekten und künstlerischen Interventionen gegen die nationale Aufrüstung, die inhaltliche Leere und die revisionistischen Tendenzen des Erinnerungsspektakels.

Nicht zufällig verweist der Eingangstext der Website darauf, dass bereits das 70jährige Gedenken an den Februar 1934 in diesem Frühjahr anstelle einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Austrofaschismus und seinen Kontinuitäten bis heute eine verheerende Diskursverschiebung nach rechts gezeitigt habe. Hat die Bundesregierung schon aus der von ihr propagierten Republiksgeschichte, in der der Austrofaschismus als patriotischer Akt dargestellt wird, Kapital geschlagen, so ist auch im Jubiläumsjahr nicht nur der Effekt zweier Perioden Schwarz-Blau und ein weiterer Höhepunkt der Verankerung ihrer neoliberalen, "autoritär"-nationalistischen Politik zu sehen. Der Kurier schreibt schon jetzt, dass die Regierung von "2005" profitieren werde: 2006 ist nicht nur EU-Vorsitz Österreichs, sondern auch Wahljahr.

Das im Sinne einer Präventiv-Offensive gebildete Netzwerk versteht sich weniger als zentrale Koordinationsstelle, denn als Impulsgeberin für eine kritische Auseinandersetzung und Entwicklung emanzipatorischer Perspektiven. Den Anfang machte eine Diskussionsreihe im Depot in Wien mit österreichischen SchriftstellerInnen, die die Vereinnahmungs- und Ausschlussmechanismen des Geredes von "unserer gemeinsamen Kultur" untersuchte. Rund um den Nationalfeiertag diskutierten auf WUK-Radio, einer Sendung des freien Radios in Wien, Radio Orange die Politologin Karin Liebhart mit Martin Wassermair (Public Netbase / IG Kultur Österreich) über die politischen Implikationen des Jubeljahrs. Die Monatszeitschrift MALMOE lud zur "Gemeinsam gegen Österreich"-Party und Radio Orange sendete ein Radioballett zum Nationalfeiertag. Am 19. November fand an der Uni für Musik und darstellende Kunst in Wien eine Podiumsdiskussion statt.

Das kritische "Gegenprogramm" soll in Kooperationen mit Kulturinitiativen, Erwachsenenbildungseinrichtungen, Unis etc. weiter entwickelt werden. Ein Filmprogramm, Slogans, Stickers, Plakataktionen und Interventionen im öffentlichen Raum unterstützen einerseits die Reflexion historisch-politischer Kontinuitäten und verfolgen andererseits das Ziel der Entwicklung eines dezidiert antinationalen Diskurses. Mit einem Textpool auf der Website werden kritische Materialien und Quellen zugänglich gemacht, die auch einen konkreten Gegenwartsbezug, etwa zur Frage aktueller rassistischer Implikationen nationaler oder auch supranationaler Identitätsbildungen in der "Festung Europa" herstellen.

Nach dem Motto "Österreich 2005: 50 Jahre Staatsvertragsbruch" wurden die Top 10 der Verstöße gegen den Vertrag, der die "Freiheit" besiegelte, erstellt. Kritisch wird auf selbstmitleidig-nostalgische Rückschau und neuerliche Mythologisierung der Nachkriegs- und Aufbaujahre unter Ausblendung ihres restaurativ-reaktionären Klimas, das z.T. bis heute fortwirkt, verwiesen: "Wir brauchen kein Jubiläumsjahr, um an die 50er Jahre erinnert zu werden". Ein Text von Beat Weber wiederum räumt mit dem fest verankerten Mythos des "Wir haben es aus eigener Kraft geschafft" der Wirtschaftswunder- und Aufbaugeneration auf, indem er nachweist, dass die wirtschaftliche Nachkriegsentwicklung in Deutschland und in Österreich neben dem Marshallplan wesentlich von der – unter beträchtlichem Einsatz von Zwangsarbeit errichteten – NS-Industrie profitierte.

Die Schriftstellerin Marlene Streeruwitz schreibt in der kommenden Ausgabe der Zeitschrift Kulturrisse über die durch Schule und Kirche vermittelte Wahrnehmung der Nachkriegszeit: "Es war ein Schicksal, das über die Welt gekommen war. Und es war nur der Krieg, der benannt wurde. Der Krieg war ein Schicksal gewesen. Wie eine Überschwemmung. Über den Krieg war wie über ein Naturereignis gesprochen worden. Und wie bei einem Naturereignis hatte es keinen selbstverschuldeten Grund und keine Verursachung gegeben. Krieg trat auf und raste über die Menschen hin und hinterließ Zerstörung und danach kniete man nieder und betete."

Wir wollen nicht beten, sondern etwas tun. "2005" ist kein "Schicksalsjahr"!

Zuerst erschienen in der Tiroler Straßenzeitung "20er"
20er.at

Plattform
60 Jahre Befreiung, 50 Jahre Staatsvertrag, 10 Jahre EU-Mitgliedschaft - im so genannten Jubiläumsjahr 2005 erlebt Österreich einen neuerlichen Schub an Geschichtsverzerrung und Chauvinismus, an Opfermythen und diversen rot-weiß-roten Identitätskonstruktionen.
Eine Aktionsplattform tritt gegen die national-konservative Jubelmaschine an
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