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Erfolgsgeschichten einer ideologischen Missgeburt

Von Thomas König

"Als im April 1945 bereits die provisorische Regierung ausgerufen war und im Parlament tagte, wurden noch etwa 2000 jüdische Zwangsarbeiter durch die Lande getrieben. Bei diesen Todesmärschen sind in fast jedem Dorf, auch in Oberwart, einige von ihnen erschlagen worden, und zwar von den Dorfbewohnern. Doch diese Mörderrepublik hat das verdrängt." (Peter Turrini, 1995)

Es klingt wie aus dem typischen Disney-Film – und lieferte sogar Stoff für einen: Die rassisch gepflegte Gruppe hatte bereits einen langen Weg hinter sich gebracht. Immer noch war sie 400 oder 500 Seelen groß. Unter der Obhut des rührenden Oberstleutnant Rudofsky und des zuständigen Mediziners, Dr. Rudolf Lessing waren die meisten von ihnen in den frühen 40er Jahren von ihrer Heimat im Westen der Steiermark auf fremde, wenngleich deutsche Scholle verbracht worden. Dort lebten sie noch eine Weile ruhig, weit weg von Bombenterror und noch unbeschadet von späteren tschechischen Vertreibern. Dann rückten die Fronten näher und die roten Horden vor aufs Sudetenland und das Protektorat Böhmen und Mähren.

Österreichisches Märchen, Disney Corp.

Doch gelang der Truppe unter vorausschauender Führung die Flucht ins rettende Bayern, fort vom sichren Tod durch die gewetzten Schlachtmesser der Roten. General Patton, gemeinhin kulturlos gescholten, doch von großer Mannhaftigkeit, versprach den Zuchtbestand zu wahren. Und so geschah es, dass der Tross bei Wels zu liegen kam, wo rassisch Ausgewählte unter dem Helden Oberst Podhajsky bereits sehnsüchtig auf die Zusammenführung warteten. 10 Jahre blieben sie fern der Heimat. Dann wurde die Nation durch einen Staatsvertrag heil, die Republik ward wieder richtiges Österreich, die Opferthese hüben wie drüben akzeptiert. Man verfrachtete sie, noch zur selben Stunde, aus dem Exil nach Hause. Und weil sie 1983 eine Seuche, nach Jahrhunderten der Überzüchtung, trotzdem überlebten, sind die Lipizzaner heute noch. Das runde Jubiläum der wundersamen Errettung von Viechern inmitten des Sterbens hunderttausender Naziopfer wird nächstes Jahr ausgiebig zelebriert.

2005 ist das Jahr, in dem sich so ziemlich alles zu einem kungelig-runden Jubiläum formt, was in Österreich als Meilenstein der Zweiten Republik gilt. Etwa der endgültige Anschluss an die moderne Welt: seit 50 Jahren gibt’s hierzulande Fernsehen. Dann noch: Wiedereröffnung der Hofreitschule, der Staatsoper, des Burgtheaters. Ebenso lange gibt’s auch den Männererziehungsbund Heer. Vor 10 Jahren war ein EU-Beitritt, davor einer zum Europarat und zur UNO, und noch mal davor unterzeichneten vier andere Mächte einen nicht ganz unwesentlichen Staatsvertrag.

Ach ja, möglich gemacht wurde diese ganze "Erfolgsgeschichte" (gängige Lehrmeinung) der "ideologischen Missgeburt" (gelegentliche Opportunistenäußerung) Zweite Republik durch eine groß angelegte Befreiungsaktion. Das scheint aber heute von Bedeutung nur insofern es einem designierten Präsidenten die Möglichkeit schuf, rasch eine Unabhängigkeitserklärung zu proklamieren. Nebenbei erwähnt sei, dass derselbe Karl Renner 27 Jahre zuvor als Staatskanzler der (missratenen?) Ersten Republik "Deutschösterreich" noch den schnellen Anschluss zu Deutschland herbeisehnte.

Atemlosigkeit

Die Proklamation der Unabhängigkeitserklärung markiert formal die Stunde Null, von der historisch Interessierte wissen, dass es sie nie gegeben hat. Das ist der Grund, der verunmöglicht, an einem Gründungsjubiläum für diese Republik (und sei die Veranstaltung auch noch so kritisch gestaltet) teilzunehmen. Das angeblich erste Opfer des Nationalsozialismus stellte nicht nur in personeller Hinsicht begeisterte Nazischergen und –eliten, deren Wirkungskreise von Wien über Berlin bis tief in den Osten und Südosten Europas reichte, und die mit Euphorie und Gründlichkeit Juden und politisch Andersgesinnte vertrieben bzw. Zurückgebliebene vernichteten. Nein, es tat – nach der Befreiung - den überwiegenden Teil der EmigrantInnen als Drückeberger ab, suhlte sich im Selbstmitleid, hatte zwar Furcht vor Gewalttaten sowjetischer Befreiungssoldaten, aber doch keine Skrupel, Millionen an ZwangsarbeiterInnen aus dem vorübergehend besetzten Osten nach Jahren der Ausbeutung ohne Entschädigung ihrem Schicksal zu überlassen.

Von all dem wird nächstes Jahr kaum die Rede sein. Auch davon nicht: Die ökonomische Transformation von einem ständestaatlichen, rückständischen Agrarland zu einem modernen Wirtschaftsstandort verdankt Österreich den aufregenden sieben Jahren in jener "Aura der Atemlosigkeit" (Götz Aly), die dem NS eigen war. Es war dessen Wirtschafts- und Sklavenpolitik, die neue Standorte aus dem Boden "stampfte", alte Standorte "strukturbereinigte", jüdisches Eigentum an sich riss und damit "produktiv" machte. Der Ursprung des österreichischen Wohlstands ist mindestens ebenso den rastlosen Aktivitäten der Nazis zu verdanken wie der Wirtschaftswunderzeit mit ihrer trüb-stickigen Atemnot.

Liebe und Hiebe

Ein paar Jahrzehnte später: Der Opfer-Täter-Patient ist am Leben und nach politisch-koalitionären Kaltwasseraufgüssen sogar quietschfidel. Geschwindigkeit gilt wieder etwas. So gibt sich der Zuständige für die kommenden Festlichkeiten betont leger. Franz Morak will nicht etwa eingreifen. Er will bloß koordinieren, will dabei "verordnete Geschichtsbilder" vermeiden. Zwei große Ausstellungen bilden den Kern der kommenden Selbstfindungsinszenierung. Flankierend wird von allen staatstragenden Institutionen politischer, kultureller und wissenschaftlicher Provenienz Feierliches, Nachdenkliches oder Erzieherisches ausgerichtet.

Und damit die "Erlebnisgesellschaft" (Morak) nicht zu kurz kommt, sind bereits Clubbings auf der koordinierenden Website angekündigt. Die sind je einem der 5 Dezennien so richtig österreichischer Zeitgeschichte gewidmet, beginnend, historisch nicht ganz korrekt, mit den 50ern. (Ein Revival schneidigen SS-Europäertums und von BdM-Mode scheint dem Koordinator bei aller Freiheit der Geschichtsbilder wohl irgendwie unpassend – und den unberechenbaren Exaltiertheiten der "Erlebnisgesellschaft" ist nicht zu trauen.)

Den Kulturschaffenden dieses Landes, die in kritischer Distanz bleiben möchten, wird es schwer fallen, sich der Vereinnahmung zu entziehen. Tatsächlich gibt es bereits die ersten panischen Wortmeldungen von Renitenten. Die Zunft der Schriftstellerei freilich ist besonders hart getroffen, plant doch Günther Nenning (ausgerechnet!) einen "Austrokoffer" – eine Art Kompendium österreichischer Literatur. "Ja, die beste Definition ist gar keine. Gehaut werden überstehe ich sehr gut. Sehr gehört zu versehren. Liebe und Hiebe", faselt Nenning in seinem vorab veröffentlichten Begleittext. Solche Satzschwaden sind das komplette Kulturprogramm von 2005. Hau ruhig ein bisserl her. Aber es wäre nur gut (für dich), wenn du mich trotzdem lieb hast. Daran zeigt sich, wie umfassend die Vernebelung historischer Tatsachen und gesellschaftlicher Zusammenhänge ist.

Bei solch anschwellenden Schwadengesängen mitzumachen wäre mindestens geschmack-, im strengen Sinne aber verantwortungslos. Wollte man etwas feiern im nächsten Jahr, so wäre es immer noch die Befreiung, was heißt: die Beendigung der KZ-Herrschaft in Europa, die Beendigung der Gräuel an Millionen Menschen, die aus rassistisch-ökonomischen Gründen quer durch das besetzte Europa getrieben, gefoltert, gemordet worden waren. Das wäre wirklich europäisches Gedenken. Part des offiziellen Österreich, seiner Institutionen, gewählten VertreterInnen und seiner Kulturchargen darin wäre kollektiv der des schweigend Reuenden.

Der Text ist zuerst erschienen in: MALMOE, Nr.22, Herbst 2004 (malmoe.org)

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60 Jahre Befreiung, 50 Jahre Staatsvertrag, 10 Jahre EU-Mitgliedschaft - im so genannten Jubiläumsjahr 2005 erlebt Österreich einen neuerlichen Schub an Geschichtsverzerrung und Chauvinismus, an Opfermythen und diversen rot-weiß-roten Identitätskonstruktionen.
Eine Aktionsplattform tritt gegen die national-konservative Jubelmaschine an
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