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Home » Texte » Mythos "Wirtschaftswunder und Aufbaugeneration: Wir haben es aus eigener Kraft geschafft!"

Mythos "Wirtschaftswunder und Aufbaugeneration: Wir haben es aus eigener Kraft geschafft!"

Von Beat Weber

Deutschland und Österreich zählen heute zu den reichsten Staaten der Welt. Im Volksmund wird dieser Status vielfach auf die Verbreitung von Tugenden wie Fleiß und Arbeitseifer zurückgeführt. Insbesondere der Mythos vom "Wirtschaftswunder" kreist um die Einsatzbereitschaft und Emsigkeit der "Aufbaugeneration" beim Wiederaufbau nach dem Krieg. Implizit und oft auch explizit wird damit gleichzeitig der Umkehrschluss zumindest nahe gelegt, wonach die Ursache von Armut anderer Staaten in mangelndem Fleiß oder sonstiger moralischer Fehler der Betroffenen liegt.

Die Außenabhängigkeit von wirtschaftlichem Erfolg

Unbestritten ist der Einsatz menschlicher Arbeitskraft unumgänglicher Bestandteil der Wertschöpfung. Aber das Motivationsniveau und der Arbeitsfleiß einer Bevölkerung sind nur einer unter sehr vielen Faktoren, die zu wirtschaftlichem Wohlstand beitragen, und die nicht oder nur bedingt im Einflussbereich der arbeitenden Bevölkerung liegen. Ohne günstige Umfeldfaktoren ist alle Arbeit vergeblich. Dependenztheorien haben darauf hingewiesen, dass die Armut einzelner Staaten vor allem eine Frage ihrer Stellung im internationalen System ist, und weniger mit Dingen zu tun hat, die in ihrer eigenen Verantwortung liegen: Manche Staaten erhalten Investitionen und Marktzugang aus starken Staaten, mit Hilfe derer sie auch eigene Stärken aufbauen können. Andere werden auf dem Status von günstigen Rohstofflieferanten oder ausgelagerten Billiglohn-Werkstätten gehalten, wieder andere überhaupt ignoriert. Ohne Kapitalzufuhr von außen, Marktlücken und Abnehmer auf den Weltmärkten stehen die Chancen auf ein "Wirtschaftswunder" sehr schlecht.

Wirtschaftswunder, NS-Kriegsindustrie und Zwangsarbeit

Das "Wirtschaftswunder" nach dem Wiederaufbau der Nachkriegszeit in Deutschland und Österreich ging auch mit hohen Ausbeutungsraten und oktroyiertem Konsumverzicht auf Seiten der Beschäftigten, und beträchtlichen Unternehmensgewinnen auf Seiten der Unternehmen einher. Doch nur in Kombination mit externen Voraussetzungen, die nichts mit der Arbeitsamkeit der heimischen Bevölkerung zu tun haben, konnte der Wiederaufbau Erfolg haben.

Die Basis der industriellen Produktion der Nachkriegszeit wurde schon in der NS-Zeit geschaffen, unter massivem Einsatz von Zwangsarbeit. Insgesamt waren während des 2. Weltkriegs 13,5 Mio. ZwangsarbeiterInnen (ausländische ZivilarbeiterInnen, Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge) im deutschen Reich eingesetzt. Am Höhepunkt des Krieges, 1944, gab es 7 Millionen, das waren 26,5% aller Beschäftigten. Davon 700.000 im heutigen Österreich – in Betrieben wie der späteren VÖEST, Lenzing, Verbundgesellschaft, Steyr-Daimler Puch etc.

Die NS-Führung hatte die großdeutsche Industrie in Form einer Art "Militär-Keynesianismus" einem Modernisierungsschub unterzogen, und massiv in den Grundstoff- und Investitionsgütersektor investiert – vorwiegend um Kriegsausrüstung zu erzeugen. Die Umorientierung von einer kriegswirtschaftlichen zu einer zivilen Nutzung der meisten Anlagen nach 1945 funktionierte, denn ein wesentlicher Teil blieb trotz Kriegszerstörungen und Demontagen nachher nutzbar. Wo Kriegsschäden auftraten oder Bauten durch die Kriegshandlungen unterbrochen waren, konnte die Wiederinstandsetzung bzw. Fertigstellung auf brauchbaren Fundamenten aufbauen.

Reparationsleistungen an die Alliierten werden oft überschätzt und lagen in den Westzonen de facto nur bei einem Viertel der ursprünglich in Aussicht gestellten Höhe, und verteilten sich außerdem auf eine Reihe von Jahren.

Unter diesen Bedingungen war es möglich, dass in Deutschland das Bruttoanlagevermögen trotz Demontagen und Restitutionen bereits 1948 um 14% höher lag als 1935.

Auch in Österreich wurde die Basis für viele Industrieflaggschiffe der 2. Republik in der NS-Zeit gelegt. Vor allem im Bereich der Grundstoffindustrie führten Industriegründungen zu Kriegszwecken während der NS-Zeit zu einem Industrialisierungsschub, vorwiegend in Oberösterreich und anderen westlichen Bundesländern. Der in Hinblick auf Kriegführungszwecke eingerichtete Schwerindustrie-Schwerpunkt wurde nach 1945 beibehalten, und bildete die Basis der weitgehend verstaatlichten Industrie des Nachkriegs-Österreich. Prominente Beispiele sind die VOEST (früher: Hermann Göring Werke), Speicherkraftwerk Kaprun, Aluminiumhütte Ranshofen, Zellwollefabrik Lenzing.

Marshallplan

Nach 1945 beschlossen die Alliierten, Deutschland und Österreich wirtschaftlich wiederaufzubauen und in die Errichtung eines Weltmarkts einzubeziehen. Die unter NS-Zeit errichteten Unternehmen wurden, von Kriegs- auf Zivilwirtschaft reorientiert, als Basis herangezogen, und in exportorientierte Industrien vorwiegend für den westeuropäischen Markt verwandelt.

Für Kapital und Devisen waren die besiegten Staaten weitgehend auf ausländische Hilfe angewiesen. Während dem Krieg war die Versorgungslage in Deutschland und Österreich aufgrund von Raub und Zwangsabgaben durch die Wehrmacht aus den besetzten Gebieten besser als in anderen kriegsbeteiligten Staaten , doch nach 1945 kamen diese Transfers natürlich zum Erliegen, worauf sich Nahrungsmittelknappheit bemerkbar machte.

Diese Bedürftigkeit traf auf den günstigen Umstand, dass die USA ein politisches und wirtschaftliches Interesse daran hatten, Europa wieder aufzubauen, um einen starken Gegenpols zum Realsozialismus zu errichten, und einen aufnahme- und zahlungsfähigen Markt für ihre Exporte und Investitionen aufzubauen. Aufgrund dieser Überlegungen setzten die USA den "Marshallplan" ein, der den westeuropäischen Staaten dringend benötigte Finanzmittel in Form von Darlehen und Zuwendungen zur Verfügung stellte. Der Marshall-Plan war der zentrale Rettungsanker, mit Hilfe dessen sich die finanziell danieder liegende deutsche und österreichische Wirtschaft wiederaufrichten konnte. Importierte Waren (sowohl Lebensmittel als auch Investitionsgüter) wurden von der US-Regierung bezahlt, der Mark- bzw. Schillinggegenwert aus dem Verkauf der Hilfsgüter wurde einem Sonderkonto in inländischer Währung gutgeschrieben und stand für Investitionszwecke zur Verfügung. So konnte trotz geringer Sparquote im Inland schon in den ersten Nachkriegsjahren ein umfassender Wiederaufbau finanziert werden.

Zwischen 1948 und 1952 werden von den USA insgesamt rund 12,4 Milliarden Dollar im Rahmen des Marshallplans bereitgestellt. Davon flossen 1,5 Milliarden Dollar nach Westdeutschland. Österreich erhielt unter allen Empfängerstaaten die zweithöchste Summe an Marshallplan-Hilfe pro Kopf, zeitweise in Höhe von 10% des BIP , davon ein außergewöhnlich hoher Anteil in Form von Zuschüssen statt rückzahlbaren Krediten. Insgesamt erhielt Österreich zwischen 1945 und 1955 ausländische Hilfsgüter im Wert von - je nach Quelle – zwischen 900 Mio. und 1,6 Mrd. Dollar.

Zwischen 1948 und 1951 flossen 32% der gesamten ERP-Gelder an die VÖEST. Durch staatlich niedrig gehaltene Preise von Stahl wurden auch andere Branchen indirekt subventioniert. Die auf diesem Umweg der Privatwirtschaft zugeflossenen Mittel zwischen 1950 und 1968 werden auf 8,5 Mrd. öS geschätzt.

Nur so wurde es möglich, dass das reale Bruttoinlandsprodukt pro Kopf bereits 1949 das Niveau von 1937 überstieg. Am Ende der Wiederaufbauperiode 1954 hatte das reale Bruttoinlandsprodukt 151% des Werts von 1937 erreicht.

Aus den in Fonds angelegten Marshallplan-Geldern wurden noch über Jahrzehnte verbilligte Unternehmenskredite vergeben.

Insgesamt profitierte die wirtschaftliche Nachkriegsentwicklung in Deutschland und Österreich also wesentlich sowohl von den unter beträchtlichem Einsatz von Zwangsarbeit errichteten Industriefundamenten der NS-Zeit, als auch von der Nachkriegsordnung mit ihrem US-Finanzhilfeprogramm und dem dadurch ermöglichten Wachstum der westlichen Industriestaaten, basierend auf Exporten und Investitionen. Eine prosperierende Weltwirtschaft war und ist für exportorientierte Staaten wie Deutschland und Österreich eine wesentliche wirtschaftliche Erfolgsbedingung.

Aus dem laufenden Projekt "Mythen der Oekonomie" des Beirat für gesellschafts-, wirtschafts- und umweltpolitische Alternativen (BEIGEWUM)
beigewum.at

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