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Home » Projekte » Nach der Freiheit... » "Ob sich heute jemand vorstellen kann, was Freiheit bedeutet?"

"Ob sich heute jemand vorstellen kann, was Freiheit bedeutet?"

Irma Trksak (geboren 1917) war aktiv im Widerstand der tschechoslowakischen Minderheit. Sie war von klein auf im tschechischen Arbeiterturnverein engagiert. Wegen mehreren Brandlegungsversuchen wurde Irma Trksak 1941 von der Gestapo verhaftet. Ein Jahr lang war sie im berüchtigten Wiener Polizeigefängnis Rossauer Lände inhaftiert. Ende September 1942 wurde sie mit einem Transport in das Frauenkonzentrationslager Ravensbrück, nördlich von Berlin gebracht. 132.000 Frauen aus über 40 Nationen wurden zwischen Mai 1939 und April 1945 nach Ravensbrück und seine Nebenlager verschleppt. In einem der so genannten Todesmärsche gelang Irma Trksak die Flucht. Folgendes Interview entstand am 4. Oktober 2005 im österreichischen KZ-Verband im Lassallehof in Wien.

Sie sind 1917 in Wien geboren. Ihre Eltern kamen aus der Slowakei und Sie sind dreisprachig aufgewachsen. Wie erlebten Sie die Zeit des Austrofaschismus?

lrma Trksak: Im Austrofaschismus war ich noch nicht volljährig. Es gab nur eine Partei, die Vaterländische Front, also der schwarze Faschismus, wie wir das genannt haben, dem dann der braune folgte. Mein Vater war Sozialdemokrat und Mitglied und Funktionär der Gewerkschaft der Metallarbeiter. Ich bin in einer sozialdemokratischen Familie aufgewachsen und war im tschechischen Arbeiterturnverein und in verschiedenen kulturellen und sportlichen Vereinen aktiv, aber nicht parteipolitisch organisiert.


Irma Trksak

Ich war sechzehn Jahre alt, als der schwarze Faschismus im Februar '34 an die Macht kam, und in den vier Jahren seiner Herrschaft waren Vereine der Sozialdemokraten verboten. Wir haben aber einen Ausweg gefunden und einen neuen Verein gegründet, den "Tschechoslowakischen Turnverein". Das "Arbeiter" hat man weggelassen und so haben ihn die Behörden bewilligt und wir konnten unsere Tätigkeit wieder aufnehmen. Nicht dass wir unpolitisch gewesen wären, die Partei war zwar verboten, aber die Vereine haben weiter existiert. Allerdings lernten wir von '34 bis '38, mit der so genannten Illegalität zu leben.

1938, im Jahr des so genannten "Anschlusses", haben Sie ja schon als Lehrerin an einer tschechoslowakischen Schule unterrichtet. Wie hat sich nach der Machtübernahme durch die Nazis Ihr Alltag verändert?

lrma Trksak: Zuerst, und das ist ja bekannt, wurden die Juden verfolgt und dann die Roma und Sinti. Nach ihnen wurden dann die Slawen verfolgt, hieß es doch, "wir hätten keinen Tropfen deutschen Blutes in unseren Adern". Folglich waren wir in dieser Logik keine vollwertigen Menschen beziehungsweise Menschen zweiter respektive dritter Klasse.

Damals wurden alle tschechischen Schulen geschlossen. Davor gab es in Wien in jedem Bezirk eine tschechische Volksschule. Außerdem existierte in Wien ein tschechisches Realgymnasium, eine Realschule und eine Handelsschule mit zwei Klassen. Diese Schulen unterlagen den Vorschriften des Wiener Stadtschulrates und hatten dementsprechend Öffentlichkeitsrecht. Unsere Zeugnisse hatten Geltung. Wir konnten nach der Matura studieren und so weiter.

Aber sie wollten nicht, dass dieses Volk weiterkommt, weiterlebt. Nach dem Krieg und der geplanten Besetzung Russlands wollte Hitler ja alle Tschechen nach Sibirien aussiedeln, so wie er alle Slawen in Russland konzentrieren wollte. Auch die Wiener Tschechen sollten also nach Sibirien deportiert werden, sofern sie uns nicht zuvor zum Tod verurteilt hätten.

Es war ja damals so, dass niemand von uns einen Prozess bekommen hat, falls er bei einer Widerstandsaktivität erwischt wurde. Kein einziger Widerstandskämpfer der Minderheit hatte einen Prozess, so wie die Aktivisten anderer linker Parteien. Von unserer Gruppe sind 78 in Mauthausen hingerichtet worden, ohne Verhandlung, nach dem Standrecht.

Unsere Gruppe setzte sich aus kleineren Zellen zusammen, wie es üblich war in Parteien, die Widerstand geleistet haben. Damit wenn jemand auffliegt, nur die eine Gruppe hochgeht und die anderen nicht.

Wie hat das aber mit Ihren Widerstandsaktivitäten nach 1938 angefangen? Sie haben Ihre Aktionen mit der Gruppe aus dem Turnverein organisiert und dabei versucht, die Kriegslogik zu sabotieren?

lrma Trksak: Ich hab fünfzig oder sechzig Mitglieder unserer Minderheit gekannt. Aber da waren nicht nur wir, es waren Hunderte kleine Gruppen in Österreich. In ganz Europa formierten sich damals Widerstandsgruppen.

Wir haben uns also überlegt: Wie wollen wir vorgehen? Was wollen wir unternehmen? Wir hatten ehemalige Kommunisten und ehemalige Sozialdemokraten in unseren Reihen, ältere, erfahrene Leute, die irgendwie wussten, wie man so etwas beginnt. Wir wollten die Menschen aufmerksam machen, welches Unrecht uns geschehen ist und dass sie unsere Minderheit ausrotten wollen.

Wir haben zum Beispiel an die Soldaten geschrieben, sie sollten nicht mehr in dieser Armee kämpfen, in die sie gezwungen wurden. Das sei nicht ihr Krieg, das sei der Krieg der Nationalsozialisten, die die Völker unterjochen und ausrotten und ganze Länder ausplündern. Auf diese Art haben wir so genannte Kettenbriefe geschrieben und am Ende dieser Briefe die Soldaten dazu aufgefordert, die Briefe weiterzugeben. Wir haben dann später erfahren, dass diese Flugschriften- tatsächlich weitergegeben und verbreitet wurden.

Wir haben uns damals vorgenommen, wo immer es uns möglich wäre, Sand in das Kriegsgetriebe zu streuen, um die Maschinerie aufzuhalten. Und je öfter die deutsche Wehrmacht auf diversen Kriegsschauplätzen geschlagen wurde, umso größer wurde das Misstrauen der Soldaten gegenüber der Armee, und schließlich waren immer mehr und mehr Soldaten bereit, etwas gegen diesen Krieg zu unternehmen.

Wir haben außerdem versucht, Kontakt zu Eisenbahnern zu bekommen, um sie dafür zu gewinnen, die Fahrpläne nicht einzuhalten, damit das Kriegsmaterial nicht so schnell an die Front kommt oder auch die Transporte mit den Deportierten nicht so schnell in den Lagern eintreffen. Wir wollten sie also dazu bringen, wichtige Transportwege zu sabotieren. Das ist teilweise auch gelungen. Und es zeigte Wirkung. Wir haben etwas bewirkt, und je schlimmer die Situation in Deutschland wurde, umso leichter wurde unsere Arbeit.

Und nachdem sie uns eingesperrt hatten, haben andere diese Arbeit im Widerstand übernommen, haben Flugblätter verteilt etc.

Mein Bruder ist erst zwei Jahre nach mir verhaftet worden. Er wurde erwischt und kam nach Mauthausen und hat das KZ nicht überlebt. Mein Freund hat auch nicht überlebt, ist auch nicht zurückgekommen. Meine Schwester hat sich freiwillig zur englischen Armee gemeldet, ohne Waffe. Damals gab es noch keine Frauen an den Waffen. Mein Schwager war ebenfalls in der englischen Armee. In unserer Familie war alles beinand'.

Was hat es mit den Brandanschlägen auf Depots auf sich gehabt?

lrma Trksak: Die Brände? Wir wollten natürlich ein Zeichen setzen: Es ist jemand hier, der etwas tut, der sich das alles nicht gefallen lässt! Jemand will etwas gegen dieses Regime unternehmen!

Es war sogar ein Artikel in der Zeitung, wie wir in der Nacht den Flohmarkt am Tandlermarkt angezündet haben. Der Schaden für die Menschen war nicht so riesig. Und wir waren der Meinung, dass der politische Effekt der Brände doch den Sachschaden für die Leute dort gerechtfertigt hat.

In der Lobau haben wir Strohtristen angezündet, ebenfalls um die Leute darauf aufmerksam zu machen: Es gibt Menschen, die nicht einverstanden sind mit dem Vorgehen der Nazis.

Wir haben auch Depots der Nazis angezündet, mit Geräten, die sie gebraucht haben.

Wir haben immer aufgepasst, dass bei unseren Anschlägen keine Menschen ums Leben kommen. Deshalb haben wir das immer bei Nacht gemacht. Es ging auch weniger um den materiellen Schaden, den wir angerichtet haben. Die Nazis haben zum Beispiel Räder konfisziert und wir haben so ein Lager mit den konfiszierten Rädern angezündet. Die Nazi sollten die Räder nicht haben. Oder sie haben Skier konfisziert. Die haben wir auch verbrannt, weil die Inhaber sie ohnehin niemals zurückgekriegt hätten. Solche Aktionen haben wir gemacht, wo man den Menschen nicht geschadet hat, sondern eher den Nazis. Auch um den Menschen, die auch nicht einverstanden waren, sich aber vielleicht nicht getraut haben, Widerstand zu leisten, Mut zu geben.

Ob das so aufgegangen ist, wie wir uns das vorgestellt haben, wissen wir natürlich nicht.

Sie haben sich bei diesen Aktionen ziemlicher Gefahr ausgesetzt. Was hat Sie motiviert, Widerstand zu leisten?

lrma Trksak: (schüttelt den Kopf) Du hast nie überlegt, wie es ausgeht, nie! Ich hatte nie Bedenken oder Angst. Wir waren uns irgendwie sicher. Wir hatten ja auch sehr wenig Erfahrung in diesen Dingen. Das muss ich auch sagen. Wir haben aber keine Angst gehabt. Wenn du Angst hast, tust du ja nicht mit, verstehst du?

Wir haben aber erlebt, wie immer wieder Leute verschwinden. Das konnten wir einfach nicht hinnehmen und nichts dagegen tun. Und das war die Antriebsfeder für unsere Aktionen. Ob es jetzt wagemutig war oder unsinnig, wie man oft gesagt hat...? Aber es hat etwas gebracht. In ganz Europa gab`s Leute wie uns, die nicht geschult waren, ganz einfache Menschen, die nur Freiheit wollten, die Demokratie wollten und keine Diktatur. Solche Menschen gab es in ganz Europa, sonst wäre das etwa in Österreich nicht in sieben Jahren zu Ende gegangen. Also ich kenn kein Land, wo es keinen Widerstand gegeben hat.

Hattet ihr eigentlich als Gruppe eine Idee oder ein Ziel, für das ihr gekämpft habt? Eine Utopie einer idealen Gesellschaftsform, die ihr dem Nationalsozialismus entgegenstellen wolltet?

lrma Trksak: Natürlich! Unsere Ideale waren, dass jedes Land wieder frei wird. Dass jedes Land selbst entscheiden kann, welche Regierung es hat. Freiheit und Demokratie, selbst entscheiden und sich nicht alles diktieren lassen. Damals wurde dir ja alles vorgeschrieben - wenn du dir etwa vorstellst, dass du im Lager nicht einmal aus eigenem Antrieb aufs Klo durftest, nur auf Kommando, dann glaubt mir das niemand, dass für zweihundert Frauen nur vier Häuseln waren und die sollten alle aufs Klo gehen. Das kann sich niemand vorstellen, wir waren ja weniger wie die Tiere, wir waren nur zum Arbeiten da. Ich hab mir das ja auch nicht vorstellen können. Ich hab gewusst, dass es ein Dachau- gibt, aber keine Ahnung gehabt, wie es in einem KZ aussieht, keine Ahnung, was sich da tut. Jedes Lager war zum Schluss ja ein Vernichtungslager, nicht nur Auschwitz.

Im September '41 wurden Sie verhaftet, und sind ins Gestapogefängnis in der Rossauer Lände gekommen...

lrma Trksak: Ja, und dann bin ich ins KZ Ravensbrück gekommen. Trotzdem haben wir auch im Lager weitergetan. Wir haben Pläne gemacht, wir haben uns vorgestellt, wie es sein wird ... Nur von dem Stück Brot und von dem Schöpfer Rüben hätten wir ja nicht überlebt, wenn wir nicht die Hoffnung gehabt hätten, dass es einmal aus sein wird und wir raus kommen. Sie haben uns ja die Menschenwürde geraubt! Wir waren ja keine Frauen für sie, wir waren weniger als der letzte Dreck, wenn ich das so vulgär ausdrücken sollte. Den Hund haben sie gestreichelt und gefüttert und geschniegelt und auf uns gehetzt. Wir waren nichts. Wer die Hoffnung aufgegeben hat, hat nicht überlebt, der ist gestorben. Jemand, der nie in so einer Situation war, kann sich das gar nicht vorstellen.

Ich war in Ravensbrück und auch im Vernichtungslager - im aufgelösten Jugendlager, das umfunktioniert wurde zu einem Vernichtungslager. Da bin ich strafweise hingekommen. Aber ich hatte Glück, dass die Russen immer näher gekommen sind. Die SS hat das Lager aufgelöst, um keine Zeugenschaft zu hinterlassen, was sie dort getrieben haben. Sie haben die Frauen selektiert und in einer provisorischen Gaskammer erstickt.

Aber sie haben keine Zeit mehr gehabt, eine richtige Gaskammer einzurichten, alles musste schnell, schnell gehen. Weg damit, mit den unnützen Fressern. Die wurden alle selektiert, und jeden Tag haben sie sie weggeführt mit dem Lastauto und wir haben nichts tun können, wir mussten machtlos zusehen, wie sie sie abtransportiert haben. Die Frauen haben geschrien, geweint, Angst gehabt, sich gewehrt und wurden raufgeprügelt, raufgezerrt. Das war ganz, ganz schrecklich, und deswegen hat man dann weitergekämpft. Und wie ich wieder ins alte Lager zurückgekommen bin, hab ich weitergekämpft, um das zu erzählen, was die Nazi gemacht haben, auch wenn ich nach der Befreiung gleich umgefallen wäre und nicht mehr gelebt hätte, wollt ich jemandem erzählen, was dort geschehen ist, damit`s eben nie wieder kommt. Auch wenn man es oft gar nicht sagen kann, wie es war.

Ich war als Zeugin beim Hamburger Prozess über diese Vorkommnisse. Da wurde der Kommandant von Ravensbrück befragt, warum er die provisorischen Gaskammern errichten ließ. Er hat ganz kurz gesagt, "weil das die schnellste und billigste Art des Tötens war". Ohne Kommentar, ohne Reue, ohne Gemütsbewegung, nichts.

In Ravensbrück waren Sie in einem Block mit mehreren politischen Häftlingen?

lrma Trksak: Ja, das war der Block 1. Dort war die Rosa Jochmann die Blockälteste. Wir sind auf den gleichen Block gekommen. Ich wurde dann zur Firma Siemens ausgewählt und musste wieder in einer Munitionsfabrik arbeiten. Da wurden Präzisionsgeräte für die V2, für die Wunderwaffe erzeugt, sowie für Flugzeuge und U-Boote. Die Frauen waren gezwungen zu arbeiten. Arbeitsverweigerung wurde mit dem Tod bestraft. Das durfte man nicht.

Was hast du tun können? Du musstest mittun, um nicht umzukommen! Es gab natürlich Frauen, die nicht gearbeitet haben, es gab Frauen, die sabotiert haben. Die wurden erschossen oder zu Tode geprügelt. Ich hab also mitgearbeitet in diesem Siemenslager, an irgendeinem Teilstück geschraubt. Was solltest du machen?

Sie konnten dann aber fliehen?

lrma Trksak: Die Russen sind immer näher gekommen. Die Nazis fürchteten nichts mehr als die Russen. Sie nicht mehr die Zeit gehabt, das Lager in die Luft zu sprengen. Dann haben sie Transporte zusammengestellt, Fünferreihen, im Gleichschritt mussten wir rausmarschieren, alle Frauen, die noch marschfähig waren. Viele konnten ja nicht mehr, die sind dann dort geblieben. Und wir merkten ihre Angst, die sie vor den Russen hatten. Wir haben gemerkt, dass sie unsicher sind, und wir haben uns schon vorher verabredet. Jede von uns versucht auf eigene Faust zu fliehen und eine von uns wird dann schon überleben, damit sie das alles, was ich jetzt erzählt habe, der Menschheit erzählen kann - damit es nie wiederkommt. Das war immer unser Ziel: Damit es nie wieder zu so etwas kommt! Das haben wir uns in Ravensbrück immer wieder geschworen. Fast täglich haben wir darüber gesprochen, wenn wir freikommen, wie wir uns verhalten, was wir machen werden und so weiter. Und in der ersten Nacht des Marsches ist es mir tatsächlich gelungen, mit anderen acht Frauen zu flüchten.

Als Sie - über Polen und die Tschechoslowakei - auf der Rückreise nach Österreich waren, was haben Sie sich da gedacht, wie es nach der Befreiung weitergeht?

lrma Trksak: Wir waren zumeist zu Fuß unterwegs, ganz selten, dass wir einmal einen Zug erwischt haben. Da war so ein Chaos, unvorstellbar! Häftlinge, Flüchtlinge, Kriegsgefangene, alles war auf der Straße, alles! Die einen zogen hin, die anderen her. Keiner nahm auf den anderen Rücksicht.

Auf den Straßen sah man tote Pferde, umgeworfene Wägen, Leute mit Hausrat, mit Reindln, mit Tuchenten, mit allem, was die Leute so mittragen konnten. Manchmal haben sie es auch einfach stehen lassen, sind weiter. Es war unvorstellbares Chaos auf den Straßen.

Unterwegs kann man sich, mein liebes Kind, überhaupt nichts denken, was sein wird. Unterwegs musst du nur denken, wie komm ich weiter, komm ich überhaupt nach Hause, in diesem Wirrwarr, in diesem Durcheinand`. Du hast ja keine Ahnung. Das kann man auch nicht einmal in einem Film zeigen, wie das damals war, bei der Rückreise. Haben wir einen Zug erwischt, dann mussten wir kämpfen, dann sind wir am Dach, am Trittbrett, am Puffer, irgendwo rein. Das war ein Überlebenskampf schon nach der Befreiung. Da konntest du damals noch keine Pläne machen, was du zu Hause auch findest. Ich bin nach Hause gekommen und mein Haus stand nicht mehr. Ich war ausgebombt. Ich hab meine Eltern gesucht. Ich bin dagestanden mit dem, was ich aus dem Lager mitgenommen hab, nichts! Nichts zum Essen, nichts zum Anziehen. Ich musste meine Eltern suchen. Stell dir vor, da hast du doch momentan keine Ahnung, welche Pläne du haben wirst. Und die Enttäuschung dann, wie du gekommen bist, von nirgends hast du Hilfe bekommen, von keiner Seite! Also unser Land, das hat sich ausgezeichnet mit der Befreiung, mit der so genannten. Schrecklich.

Wenn Sie jetzt verschiedene Orte sehen, an Plätzen sind, die eine Rolle gespielt haben in Ihrer Jugend oder im Widerstand, was sind das für Orte und Situationen, wo Erinnerungen hochkommen?

lrma Trksak: Natürlich fällt mir immer wieder ein, was hier geschehen ist, ich kenn die Namen der Gemeindebauten und diese Orte, wo das alles geschehen ist, und es tut mir immer wahnsinnig Leid, dass das in der heutigen Zeit überhaupt nicht mehr beachtet wird. Die Leute wissen nicht einmal, warum der Bau, wo ich wohne, Otto-Haas-Hof heißt. Es steht nur "Freiheitskämpfer" bei der Namenstafel dabei, sonst nichts! Er wurde hingerichtet! Die Leute wissen gar nichts. Die gehen vorbei an diesen Orten, die an Schreckliches, an Tragisches erinnern, und wissen nichts.

Es tut mir Leid, dass die Leute so schnelllebig leben, auch die Jungen. Ich will nicht alle in einen Topf werfen, aber vorwiegend leben sie so, ohne zu wissen, was geschehen ist. Im Bezirk, in meiner Gasse, in meinem Bau, nichts. Und niemand bemüht sich, ihnen das zu erklären oder zu sagen. Nicht alle, das sag ich immer, aber der Großteil der jungen Menschen interessiert sich nicht dafür.

2005 hat man sich bemüht, doch das sind lauter Alibihandlungen gewesen. Wenn ich mir das vorstelle, diese Feier im Belvedere. Die Regierung und alle sind gesessen im Belvedere. Dort haben sie ein Zelt aufgebaut! Verstehst du, zum Kotzen! Wenn sie gesagt hätten, zehn ehemalige Widerstandskämpfer sitzen neben der Regierung. Nicht in der ersten, von mir aus in der fünften Reihe. Aber kein einziger Widerstandskämpfer war im Belvedere. Uns haben sie eingeladen und ein Zelt aufgebaut und uns dorthin verfrachtet und alles übertragen, was sie dort reden. Als Alibihandlung!

Es gibt Gruppen und junge Menschen, die machen Ausstellungen, die machen Filme, also das gibt es schon. Das kommt aber nicht so in die Bevölkerung, wie es sollte. Jeder sollte die Geschichte seines Landes wenigstens ein bisschen kennen. Es gibt viele Absolventen der Hauptschulen, die haben keine Ahnung von dem.

Welche Rolle, denken Sie, spielt der Widerstand im österreichischen Geschichtsbild?

lrma Trksak: Es geht nicht nur um den Widerstand. Ich bin kein Fachmann für Lehrbücher. Wir haben zum Beispiel ein Jahr über die griechische Mythologie gelernt in der Schule. Über alles, nur nicht über den Widerstand wird heute in den Schulen gesprochen. Man soll niemanden zwingen. Es sollte so gebracht werden, damit die jungen Menschen Bescheid wissen, was in unserem Land geschehen ist.

Man sollte auch nicht nur sprechen von den Menschen, die im Widerstand waren. Man sollte auch das Alltagsleben der Menschen, die nicht eingesperrt waren, darstellen. Wie hat die normale Bevölkerung gelebt? Das wäre alles sehr wichtig zu wissen, um die Entwicklung im Land zu verstehen. Ich will nicht, dass man sich nur auf den Widerstand konzentriert. Natürlich, die Widerstandskämpfer waren maßgeblich daran beteiligt, dass unser Land befreit wurde und dass die Nazi den Krieg verloren haben.

Wie viele tausende Widerstandskämpfer haben nicht überlebt, und ihr Kampf hat mit dazu beigetragen, dass der Faschismus besiegt wurde. Das sagt man nirgends. Das sind Vorbilder, markante Frauen und Männer, WiderstandskämpferInnen.

Ein prägnanter Ausspruch von WiderstandskämpferInnen war ja 1945 "Niemals vergessen", aber auch "Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg". Wie wurden diese Forderungen erfüllt?

lrma Trksak: Na, sieht man das? Was geschieht jetzt in der Welt? Wir haben keinen Krieg, aber schauen wir uns um, Irak, Iran und die ganzen Länder, Israel usw. Es geht ja nicht nur um Europa, es geht um die ganze Welt. Überall keimen faschistische Organisationen, werden groß. Und heute auch der Mammon, das goldene Kalb, um das alles tanzt - jeder will reich sein. Ich kann kein bestimmtes Rezept geben, ich könnte nur Anregungen geben, wie es ungefähr geschehen sollte. Aber Anregungen würde ich schon geben, wenn man mich einladen würde und fragen, also wie machen wir das jetzt. Nicht nur theoretisch, sondern auch so, damit es unter die Haut geht. Man darf das Gefühl und das Herz nicht vergessen. Wenn man mitfühlt, kann man mitkämpfen.

Sie haben ja schon viel erlebt, viele Umbrüche und verschiedene Systeme, und heute ist es so, dass der Neoliberalismus als System für meine Generation ganz natürlich und alternativlos daherkommt.- Die Frage wäre, was man von Ihrer Geschichte lernen kann bzw. wie Widerstand heute aussehen könnte?

lrma Trksak: Die Reichen werden immer reicher und die Armen werden immer ärmer. Das stimmt. Die Großen schlucken die Kleinen, der Kleine hat keine Möglichkeit mehr. Jeder will immer mehr haben. Das Materielle spielt heutzutage in meinen Augen eine größere Rolle als alle ideellen Werte, nicht? Und ob sich jemand vorstellen kann, was Freiheit bedeutet? Er glaubt etwa, er ist jetzt frei, weil er nicht eingesperrt ist oder was ... Ob sie die Begriffe "Freiheit" und "Demokratie" und "Menschlichkeit" überhaupt richtig verstehen? Weil wir sie vermisst haben, verstehen wir die Worte.

Sie sind jetzt aktiv als Vorsitzende der Lagergemeinschaft Ravensbrück...

lrma Trksak: Ich war jetzt 24 oder 26 Jahre Sekretärin der österreichischen Lagergemeinschaft Ravensbrück. Wir hatten das Glück, junge Frauen kennenzulernen, die sich für unseren Kampf und unser Schicksal interessiert haben und darüber publiziert haben, Ausstellungen, Filme gemacht haben usw. Jetzt kann ich noch denken und reden, aber vielleicht nicht mehr lange. Und jetzt ist es soweit, dass wir den Verein den Jungen übergeben haben, die bereits zehn Jahre mit uns arbeiten. Der Verein heißt jetzt "Österreichische Lagergemeinschaft Ravensbrück und Freundinnen". Wir waren die Kameradinnen, so nannten wir uns im Lager, und sie sind die Freundinnen.

Die Jungen haben das mittlerweile alles übernommen. Sie haben neue Statuten eingereicht und ich bin ab Mai einfaches Mitglied dieses Vereins - aber solange ich kann, werd ich da sein, an ihren Treffen teilnehmen und Fragen beantworten oder irgendetwas mithelfen. Immer wieder geh ich mit ihnen, als Zeitzeugin, solange ich es kann.

Wir sind ja nur sehr wenige und haben die Zukunft unserer Lagergemeinschaft dadurch gesichert, dass die Jungen bereit waren, das weiterzuführen und unsere Erfahrungen, unsere Erlebnisse und alles, was wir hatten, weiterzutragen und in dem Sinne natürlich gegen den Faschismus, gegen die Gewalt, gegen den Krieg, für die Demokratie, für die Freiheit und so weiter zu kämpfen. Und wir haben Hoffnung, dass das gut gehen wird und dass sie auch weiterhin etwas bewegen können. Es geht darum, dass sie das weitertragen, damit sich das nie wiederholt. In derselben Art kann es sich ja vermutlich nicht wiederholen, aber ähnlich. Und wenn es ihnen gelingt, viele junge Frauen zu gewinnen und darüber zu reden, was damals war, dann fruchtet das auch etwas. Wir haben es jedenfalls nicht vergessen, aber es ist nicht leicht, sich damit zu beschäftigen. Das muss ich auch sagen. Ich versteh das von der Warte der jungen Menschen gesehen. Denn das sind keine lustigen Erlebnisse, das sind schwerwiegende Taten gegen die Menschlichkeit, die begangen wurden und die sehr belastend sind. So ist es. Ihr könnt ja Mitglieder bei der neuen Lagergemeinschaft werden, ihr könnt ja herkommen!

Interview: Eva Egermann (im Rahmen von "Nach der Freiheit...")

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