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Demokratie verteidigen...

Als 16-Jähriger ging Hans Landauer nach Spanien um als Freiwilliger für die Republik zu kämpfen. Er gehört zu den 384 österreichischen Spanienkämpfern, die im KZ Dachau inhaftiert waren. Nach seiner Befreiung wurde er Kriminalpolizist. Folgendes Interview mit Hans Landauer entstand am 7. September 2005 im Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes.


Hans Landauer

Während in den Jahren zuvor in Italien, Frankreich, Deutschland, Österreich und mehreren südosteuropäischen Staaten ein politischer Rechtsruck erfolgte, erreichte in Spanien die "Volksfront" bei den offiziellen Wahlen am 11. Februar 1936 einen überwältigenden Erfolg. Als ein halbes Jahr später General Franco gegen diese frei gewählte Regierung putschte, erhob sich weltweit eine Solidarisierungsbewegung für die bedrohte spanische Regierung. Tausende machten sich aus allen möglichen Ländern nach Spanien auf, um in so genannten "Internationalen Brigaden" für die Republik zu kämpfen. Als 16-Jähriger ging auch Hans Landauer nach Spanien. Im Juni 1937 erfolgte die Gründung des österreichischen Bataillons "12. Februar 1934", dem er von Beginn an angehörte. Mit 20 wurde Landauer von den Nationalsozialisten in Österreich verhaftet. Nach seiner Befreiung aus dem KZ kehrte Landauer nach Wien zurück und arbeitete als Kriminalpolizist. Nach seiner Pensionierung bemühte er sich verstärkt im Rahmen des Dokumentationsarchivs des Österreichischen Widerstandes (DÖW) um die Aufarbeitung der Geschichte der österreichischen Spanienkämpfer.

Sie waren bereits als Kind bei der sozialdemokratischen Jugendorganisation, den "Roten Falken", aktiv, die in der Zeit des Austrofaschismus verboten wurde. Sie haben dann trotzdem auch weiterhin illegale Arbeiterzeitungen ausgeliefert und waren auch an anderen Widerstands-aktionen beteiligt. Wie kann man sich den Alltag im Widerstand gegen den Austrofaschismus vorstellen? Inwiefern war ihr Alltag von Illegalität und Repression geprägt? Sie waren damals ja noch ein Kind...

Hans Landauer: Zum Zeitpunkt der Niederschlagung oder Auslöschung der Demokratie in Österreich am 12. Februar 1934 zählte ich gerade 13 Jahre. Beide Großväter von mir waren zu diesem Zeitpunkt sozialdemokratische Bürgermeister in kleinen Landgemeinden, in Oberwaltersdorf und in Tartendorf, in der Nähe von Baden. Oberwaltersdorf ist ja bekannt durch dem Herrn Stronach beziehungsweise seinen Golfplatz, die Fontana. Meine Großväter wurden natürlich 1934 aus den Gemeindestuben vertrieben, in die sie mit einer satten 2/3-Mehrheit gewählt worden waren. So habe ich das also erlebt.


Gedenkstätte für die Opfer des Österreichischen Freiheitskampfes 1938 - 1945, Salztorgasse 6, Wien.
Foto: Eva Egermann

Ich lebte ja bei meinem Großvater mütterlicherseits. Der hat mir ab und zu ein Packerl in die Hand gedrückt und gesagt: "Hansi, bring das dort oder dort hin", jedenfalls in die nähere Umgebung, in die Dörfer in der Umgebung, wo auch abgesetzte Bürgermeister waren, alles Freunde meines Großvaters. Und da hab ich halt kleinere Pakete hingebracht, noch als Schulbub und nicht wissend, was da drinnen war. Schließlich habe ich aber dann, ein Kind ist ja immer neugierig, so ein Packerl aufgemacht und drinnen war: die "Arbeiterzeitung" aus Brünn, die damals ja illegal in Österreich verteilt wurde. Die wurde auf ganz dünnem Papier gedruckt, genauso wie der "Schutzbündler", die "Rote Fahne" und alles, was auf dem - damals in Österreich, Deutschland und Italien verbotenen - linken Sektor publiziert wurde.

Ich war ja der Meinung, ich wäre der einzige Schulbub, der damals so eine Arbeit gemacht hat. Dem ist aber nicht so. Bei meinen Recherchen im Staatsarchiv bin ich später draufgekommen, dass das andere politisch denkende Menschen auch gemacht haben, ihre Kinder oder Enkelkinder für diese Arbeit zu verwenden. Manche waren aber etwas unvorsichtiger als wir. Einer von ihnen hat so ein Paket zum Beispiel in die Schule mitgenommen und der Lehrer hat’s entdeckt - in Kärnten war das - und er hat Anzeige erstattet. Meine klandestine Arbeit ist aber nie aufgedeckt worden.

Im Jahr 1936 hat der spanische Bürgerkrieg begonnen und Sie sind als 16-Jähriger freiwillig nach Spanien gegangen. Was hat Sie bewogen, so jung als Freiwilliger im spanischen Bürgerkrieg zu kämpfen?

Hans Landauer: Die Motivation war beispielsweise die, dass ich bis auf die Socken Rot erzogen war. In meiner Umgebung und in der Fabrik, in der ich zu dieser Zeit gearbeitet habe, waren ja nur linksgerichtete Leute, ganz egal ob das Kommunisten oder Sozialdemokraten waren. Dort war auch der Lohnkampf stark ausgeprägt.

In ganz Europa gab es zu diesem Zeitpunkt einen Rechtsruck. Halb Europa war faschistisch und plötzlich werden in Spanien 1936 Wahlen abgehalten und es kommt zu einem Ruck in die andere Richtung: Die Volksfront siegt! Die Volksfront waren die Sozialisten, zwei linksrepublikanische Parteien, die Republikanische Union und die Linksrepublikaner, die baskischen Nationalisten, die Kommunistische Partei und Gewerkschaftsbewegungen. Es waren sieben Gruppen, die diese Volksfront gebildet haben. Ein halbes Jahr später putscht General Franco gegen diese rechtmäßig gewählte Regierung. Und da haben wir natürlich einige Sympathie gehegt für die bedrohte Regierung und dass da auch jugendliche Abenteuerlust dabei war, das ist, glaub ich, eine Selbstverständlichkeit, denn wer mit 16 Jahren keine Abenteuerlust verspürt hat, der hat keine Jugend gehabt.

Also, das ist meine Motivation gewesen, nach Spanien zu gehen kurz und einfach gesagt: Jugendliche Abenteuerlust und die Sozialisierung, die ich genossen habe.

Was für eine Gesellschaftsform wollten Sie damals dem Faschismus gegenüberstellen? Für welche Gesellschaft wollten Sie in Spanien kämpfen?

Hans Landauer: Ich wollte sicherlich die Demokratie verteidigen. Die Schutzbündler in Österreich wollten ja auch am 12. Februar 1934 keinen sozialistischen Staat erkämpfen, so wie es immer wieder von rechtsgerichteten Kreisen behauptet wird. Die haben die Demokratie verteidigt, die der Dollfuß zunächst mit einem Trick im Parlament und dann später mit Maschinengewehren auf der Straße außer Kraft gesetzt hat. Und in Spanien war das gleiche geschehen.

Wie lange waren Sie dann in Spanien?

Hans Landauer: Ich war 21 Monate in Spanien, ganz präzise: vom 19. Juni 1937 bis zum Ende des Bürgerkriegs. Am 9. Februar 1939 habe ich Spanien wieder verlassen, mit dem großen Flüchtlingstreck und dem Rest der Interbrigadisten, die noch unten waren. 5.000 haben Spanien schon einige Monate vorher verlassen. Die internationalen Brigaden wurden ja am 23. September 1938, also ein halbes Jahr vor Kriegsende demobilisiert, und diejenigen, die aus demokratischen Ländern gekommen sind, wie etwa England, Amerika, Frankreich, Schweden und so weiter, sind nach Hause gefahren, aber die Österreicher, die Deutschen, die Ungarn, die Tschechen, die Italiener, die Polen, also Brigadisten aus Ländern, die entweder von den Faschisten regiert wurden oder die von deutschen Truppen besetzt worden waren, die konnten nicht nach Hause.

Wir sind also in Spanien geblieben, bis der Bürgerkrieg aus war und Franco die Republik zerstört hatte. Wir waren die letzten Monate als Zivilisten dort. Wir haben aufgrund der Demobilisierung der Internationalen Brigaden nicht mehr an den Kämpfen teilgenommen.

Wie ging es dann weiter?

Hans Landauer: Wir Interbrigardisten sind in Frankreich beim Überschreiten der Grenze sofort interniert worden. Das verstieß gegen jedes Völkerrecht. Es gab dort am Strand des Mittelmeers Pferche, Lager waren das keine. Dort wurden in einem Pferch mit 200 Meter Breite und ein bis zwei Kilometer Länge 100.000e Flüchtlinge hineingezwängt. Insgesamt waren das fast eine halbe Million Flüchtlinge. Dort wurden wir festgehalten bis zum Ausbruch des Krieges im Jahr 1939. Nach Kriegsbeginn wurden wir in das Lager Gürs überstellt. Von dort sind einige von uns zu den französischen Arbeitskompanien gekommen. Als dann am 10. Mai 1940 die Invasion Frankreichs begann, waren die Interbrigadisten aus Österreich, Deutschland und Spanien natürlich die Ersten, die sich in deutscher Gefangenschaft wiedergefunden haben. Wir waren zuerst untergebracht in Kriegsgefangenlagern. Dann folgte der Erlass des Reichssicherheitshauptamtes, der besagt, dass "auf Anordnung des Führers alle Rotspanienkämpfer aus den Kriegsgefangenenlagern auszusondern und für die Dauer des Krieges in ein KZ zu überstellen sind." Damit begann für uns der Weg in die deutschen Konzentrationslager.

Sie sind dann 1941 nach Dachau gekommen?

Hans Landauer: Richtig, aber ich habe einen etwas anderen Weg als Häftling über Paris, Trier und München genommen. Ich bin in Paris festgenommen worden und nach Wien zur Gestapo gebracht worden zur erkennungsdienstlichen Behandlung. In Wien war ich drei Monate bei der Gestapo und bin vernommen worden. Am 5. Juli 1941 bin ich dann am Abend von Wien weg und am 6. Juni 1941 in Dachau angekommen. In Dachau war ich dann bis zur Befreiung am 29. April 1945. Im Ganzen waren es sechs Jahre, zwei Monate und 20 Tage - ich habe jede Stunde gezählt - und davon nicht ganz vier Jahre in Dachau.

Während der ganzen Zeit in den verschiedenen Lagern und den vier Jahren Dachau: Haben Sie da immer an Ihre Befreiung geglaubt?

Hans Landauer: Natürlich haben wir mit der Niederlage Hitlers gerechnet, aber da muss ich ein bisschen weiter ausholen:

Als ich 1937 nach Spanien gekommen bin, hat die Legion Condor Guernica ausradiert. Da hat die spanische Regierung ein riesiges symbolhaftes Plakat gemacht, auf dem man vier bis fünf Babyleichen, oder Kleinkinderleichen, auf Kopfsteinpflaster und eine U52 Maschine (die alten Bomber damals) sah, und darüber die Silhouette des Führers Adolf Hitler. Darunter waren nur fünf Worte in Spanisch, welche soviel bedeuteten wie: "Heute Spanien, morgen die Welt."

Die spanische Republik hat damit den damaligen Politikern Europas und auch der Welt klarmachen wollen, dass Hitler eine Gefahr darstellt - sie hat den zweiten Weltkrieg prognostiziert, aber man hat ihr nicht geglaubt. Erst als es um die Interessen Englands und Frankreichs ging, wurde gegen Hitler mobil gemacht.

Ob wir Interbrigadisten jetzt Don Quichottes gewesen sind, das weiß ich nicht, aber wir haben gewusst, dass Hitler den Krieg verlieren wird. Selbst als er in der Sowjetunion schon vor Moskau stand und einige Pessimisten im KZ Dachau - politische Häftlinge, aber keine Spanienkämpfer - gesagt haben: "Der gewinnt den Krieg", da hab ich den Zweiflern gesagt: "Schaut euch einmal an: Berlin-Moskau, das sind ungefähr 2.000 Kilometer, und wisst ihr wie viel weiter der Weg noch nach Wladiwostok ist? Der wird den Krieg nie gewinnen!"

Vielleicht war’s Zweckoptimismus, ich weiß es nicht, aber das war unsere Haltung - jene der Spanienkämpfer, ganz egal, ob das ein Sozialist ein Kommunist oder ein Parteiloser war.

Wir wussten allerdings nicht, ob wir das Kriegsende und das Ende Hitlers erleben würden. Einige von uns haben es nicht erlebt, denn prozentuell sind mehr österreichische Spanienkämpfer in Lagern umgekommen als in Spanien gefallen sind. Von 1.400 waren 265 in Spanien gefallen und von den 400 Spanienkämpfern, die in deutschen KZs landeten, sind dort 85 zu Tode gekommen.

Am 29. April wurde das KZ Dachau befreit und Sie sind dann ein paar Monate später nach Österreich zurückgekommen. Wie war das auf dem Weg zurück nach Österreich, was haben Sie sich da gedacht, wie es in Österreich aussieht und wie es in der Zweiten Republik weitergehen wird?

Hans Landauer: Als wir von Linz nach Salzburg gekommen sind, war ja noch alles in Ordnung, da hat’s noch keine Zerstörung gegeben, da war höchstens eine Brücke gesprengt, auf deutschem Gebiet noch vor Salzburg - aber als wir dann nach Ostösterreich gekommen sind und gesehen haben, welcher Schaden hier angerichtet worden war durch den Krieg... Ich verurteile die Bombardiererei von den Amerikanern nicht, wie hätten sie auch anders den Krieg gewinnen sollen, wenn sie nicht alles in Schutt und Asche gelegt hätten, so wie es zuerst ja Hitler getan hat, so lange er konnte. Krieg ist immer eine schlechte Sache...

Ich hab mir also zunächst nicht gedacht, dass Österreich in relativ kurzer Zeit wieder zu einem Staat werden würde. Wir haben schon eine Vorstellung gehabt, wie wir den Staat wieder aufbauen wollten - also demokratisch auf alle Fälle - aber dass es so schnell gehen würde... Natürlich haben wir die ersten fünf bis zehn Jahre nicht allzu viel gehabt, aber ich hab mir damals nie vorstellen können, dass ich je ein Auto besitzen werde. Jetzt habe ich schon mein siebtes oder achtes Auto, immer wieder zwischendurch auch einen Gebrauchtwagen, aber einen guten Gebrauchtwagen. Also, den sozialen Fortschritt, den hab ich mir nicht vorstellen können, und das ist sicherlich ein österreichisches Produkt.

Ich bin dann Kriminalbeamter geworden, also Beamter, und wir haben die ersten Jahre vom Bundespräsidenten an bis zum letzten Beamten für 150 Schilling im Monat gearbeitet. Pro Tag 5 Schilling und für 5 Schilling, hat man zum damaligen Zeitpunkt eine Zigarette bekommen. Das wurde uns abverlangt. Wir haben es gern getan.

Wie war das nach Ihrer unmittelbaren Rückkehr? Wie sind die Leute aus den KZs, aus dem Exil und die WiderstandskämpferInnen aufgenommen worden? Die Bevölkerung war ja noch immer dieselbe. War das schwierig?

Hans Landauer: Schauen Sie... Ein Widerstandskämpfer wird in allen Ländern und zu allen Zeiten von denen, die sich angepasst haben nicht gern gesehen. Die, die sich angepasst haben, können sich nicht in den Spiegel schauen. Ich kann in den Spiegel schauen. Die haben sich unterworfen, sind mitmarschiert.

Ich selbst habe keine Schwierigkeiten gehabt diesbezüglich, aber auch keine Vorteile und ich habe auch nie auf meine Vorteile gepocht, die ich laut Gesetz später dann bekommen habe. Das hat mich nicht interessiert. Ich bin nicht des Geldes wegen nach Spanien gegangen, ich war nicht des Geldes wegen im KZ. Ich bin aber heute noch stolz darauf, nie eine deutsch-faschistische Uniform getragen zu haben, die so viel Angst und Schrecken über Europa gebracht hat. Darauf bin ich stolz.

Ich finde es heute auch idiotisch, wenn ich auf der Straße einen sehe, der auf dem Arm ein rot-weiß-rotes Emblem trägt oder schwarz-rot-gelb und daneben steht: "Ich bin stolz Deutscher zu sein", das ist ja idiotisch, auf was ist er stolz? Es haben sich zwei Menschen getroffen, die zufällig Deutsche waren oder manchmal nicht einmal das und es ist jemand entstanden, aus einem Augenblicksgefühl und jetzt ist er stolz darauf, dass er Deutscher oder Österreicher, Tscheche, Russe oder Amerikaner ist. Ich bin stolz, Antifaschist gewesen zu sein. Auf das kann ich tatsächlich stolz sein.

Sie sind nach dem Krieg Kriminalbeamter geworden. Warum war es Ihnen wichtig, zur Polizei zu gehen?

Hans Landauer: In Wien waren 56 ehemalige Spanienkämpfer bei der Polizei und dafür hat es zwei Gründe gegeben: erstens einmal die Politik der Kommunistischen Partei, nicht nur in Österreich, die von Russland inspiriert war, die die Polizei unterwandern wollte bzw. die Polizei in die Hand bekommen wollte. Ich bin weder durch die Kommunistische Partei noch durch eine andere Partei zur Polizei gekommen, aber ich wollte gerne bei der Polizei sein, weil ich diese Ideologie, die damals innerhalb dieses Korps herrschte, deren Handschrift und Methoden ablehnte und weil wir der Meinung waren, wir könnten eine andere Polizei aufbauen.

Ich muss Ihnen heute gestehen, ich habe mich geirrt. Die Polizei ist, das ist meine jetzige Meinung und das hat ein bisschen gedauert, bis mir das klar wurde, zu allen Zeiten und in allen Systemen ein Unterdrückungsinstrument.

Aktuell sehen sich ja viele Menschen mit den verheerenden Auswirkungen des neoliberalen Kapitalismus konfrontiert, einem System, das so alternativlos erscheint, dass sich viele dazu gar keine Alternative mehr vorstellen können. Die Frage wäre, ob aus den Erfahrungen der Vergangenheit zu lernen ist, wie Widerstand möglich wird?

Hans Landauer: Ich muss Sie da leider enttäuschen, ich bin ein Pessimist. Der Kapitalismus hat auf allen Linien gesiegt. Ich trauere der Sowjetunion nicht nach, denn was der Stalin aufgeführt hat, waren Verbrechen allerärgster Art. So wurden etwa unzählige Leute, die von der ganzen Welt in die Sowjetunion gekommen waren, um am Aufbau des Landes teilzunehmen, einfach liquidiert.

Aber "was wäre wenn" gibt es in der Weltgeschichte nicht. Ich bin also ein Pessimist. Und es tut mir speziell Leid, das der Jugend sagen zu müssen.

Schauen wir uns die Weltwirtschaft an, wie sie ist und nehmen wir hoffentlich zur Kenntnis, dass unser Planet nichts anderes ist als ein großes Raumschiff, und die Ressourcen die wir hier in diesem Raumschiff haben, also Luft, Wasser etc. irgendwann ruiniert sein werden... Wenn das so weitergeht mit der Ausplünderung unseres Planeten, dann brauchen wir nicht an Marx und Klassenkampf denken, wir ruinieren uns die Grundlagen unseres Lebens. Mir könnte es ja egal sein, ich bin im 85. Lebensjahr, aber ich habe bereits drei Urenkel und zehn Enkel und da frage ich mich, wohin führt der Weg meiner Nachkommen?

Das ist ja ein Wahnsinn, diese Ideologie des shareholder value und der Profitmaximierung. Hat der Mensch denn kein Hirn, dass er nicht sieht, wohin dieser Weg führt?

Nach Ihrer Pensionierung haben Sie sich verstärkt hier im Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands (DÖW) engagiert, unter anderem bei der Aufarbeitung des Schicksals der Spanienkämpfer. "Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg" war ein prägnanter Ausspruch der WiderstandskämpferInnen 1945. Wie sehen Sie das heute?

Hans Landauer: Schauen Sie, da muss ich wieder auf den Marxismus zurückkommen. Ich bin ja wie gesagt heute noch Marxist, ohne einer Partei anzugehören. Und als Marxist hat man gewusst, wo die Entwicklung hinführt. Dass die Globalisierung so schnell voranschreitet, das hab ich mir auch nicht vorstellen können. Das ist in den letzten 15, 20 Jahren, würde ich sagen, rasend vonstatten gegangen und macht vor nichts und niemandem halt. Arbeit ist heute ein Gut und es gibt Millionen und Abermillionen Arbeitslose auf der Welt. Ich weiß nicht, wie das gelöst werden kann. Aber auf neoliberale Weise bestimmt nicht!

Der Faschismus, gegen den wir gekämpft haben, war nichts anderes als eine Ausdrucksform des Kapitalismus und des Kapitals. Das deutsche Kapital war 1933 der Meinung, dass Hitler alle Probleme lösen kann. Von wem ist er denn finanziert worden, der Hitler? Das war ein Thyssen, ein Voss und wie sie alle geheißen haben. Es war also die Schwerindustrie, die Hitler finanziert hat. Dass er ihnen dann später über den Kopf gewachsen ist, ist eine andere Sache. Dass auch einige Leute von ihrer Seite über die Klinge springen mussten, also umgebracht wurden, ist auch eine andere Sache.

Sie arbeiten, wie bereits erwähnt, seit einigen Jahren im DÖW - was genau tun Sie hier?

Hans Landauer: Ich habe den Anteil der Österreicher am spanischen Bürgerkrieg dokumentiert. Dabei ist es, wie gesagt, um die Verteidigung der spanischen Demokratie, der spanischen Republik gegangen. Und das versuche ich mit Akribie zu dokumentieren, und das ist mir auch gelungen. Es gibt kein Archiv der Welt, das die Gruppe von Menschen, die in den 30er Jahren dem spanischem Volk zu Hilfe gekommen ist, so gut dokumentiert wie bei uns in Österreich. Wir haben auch ein Buch hier von den Italienern, und ein Jugoslawe, oder besser gesagt ein Bosnier hat nach dem Zerfall Jugoslawiens eine ähnliche Arbeit gemacht, aber wenn Sie etwa nach Deutschland fahren, so finden Sie zu diesem Thema nichts. Stattdessen finden Sie in der Bundesrepublik in jeder Kaserne ein Eck der Legion Condor, also jener Flieger, die für General Franco gegen die Republik geflogen sind. Dagegen hat uns, die wir in der internationalen "Résistance" gegen den Faschismus in Spanien versammelt waren, der deutsche Innenminister Schily erst vor kurzem als Linksextremisten eingestuft. Soweit sind wir heute.

Wie ist das für Sie heute, wenn Sie an Orte Ihrer Jugend in Wien oder Niederösterreich kommen, gibt es da Momente, die Sie an den Widerstand oder an die Repression erinnern?

Hans Landauer: Ich gehe jeden Tag am Morzinplatz vorbei, wo das Gestapo-Gebäude gestanden hat. Und ich war erst vor einigen Wochen wieder in Dachau. Ich denke dabei oft an so manchen Freund, der mit uns in Spanien gewesen ist und dann in Dachau blieb. Ich habe großes Glück gehabt in Dachau. Und ich denke auch oft an diejenigen, die als Fremdarbeiter getarnt nach Österreich zurückgekommen sind, zunächst nicht verhaftet, weil sie sich einen anderen Namen zugelegt haben, aber wenn sie enttarnt wurden, sind sie ins Konzentrationslager gebracht und liquidiert worden. Die haben alle ihr Leben eingesetzt, im Kampf gegen den Faschismus, der ja nur eine Form des Kapitalismus ist, und... Sie merken, woher ich meinen Pessimismus habe.

Die antifaschistische Widerstandsbewegung war ja eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass Österreich als erstes "staatliches Opfer" des Hitlerfaschismus behandelt wurde und 1955 den Staatsvertrag erhielt. Dieses Jahr wurde im ganzen Land ausgiebig das Jubiläum "50 Jahre Staatsvertrag" gefeiert, aber auch "60 Jahre Befreiung". Dabei versuchten die verschiedenen politischen Lager, ihre Sicht auf die Geschichte durchzusetzen, nicht zuletzt um dadurch ihre aktuelle Politik zu legitimieren...

Hans Landauer: ... Natürlich, da haben Sie vollkommen recht. Wir haben in Österreich zwischen 1934 und ‘38 den Austrofaschismus gehabt, den klerikalen Heimwehrfaschismus, wir haben dann von ‘38 bis ‘45 den Nationalsozialismus gehabt. Widerstand gegen den Faschismus haben geleistet: Sozialisten oder Sozialdemokraten und Kommunisten, von 1933/34 bis ‘45, und nach ‘38 die Faschisten der Jahre ‘34 bis ‘38, die Austrofaschisten, die die ersten Opfer des Nationalsozialismus nach dem Anschluss waren. Der erste Transport, der von Österreich nach Dachau gegangen ist, waren sechzig Prozent Austrofaschisten, die bis zum letzten Tag die Nationalsozialisten verfolgt haben - und da haben wir jetzt ein Problem: Sind das auch Antifaschisten gewesen? Für mich nicht. Da hat eben der größere Haifisch, der deutsche Faschismus, den kleineren Haifisch, den österreichischen Faschismus verspeist. Das erzeugt in der Geschichtswahrnehmung eine etwas verworrene Situation. Aber ich bleibe dabei: Der größere Haifisch hat den kleineren geschluckt. Aber Haie waren sie beide - also Faschisten.

Und was denken Sie über dieses Gedenkjahr 2005 und die gesteigerte Aufmerksamkeit, die dieser Phase der österreichischen Geschichte in diesem Jahr zuteil wurde?

Hans Landauer: Das ist auch wieder nur eine Selbstdarstellung. Ich bin zu keiner Veranstaltung dieses Gedenkjahres gegangen, obwohl ich eine Menge Einladungen bekommen habe, als Opfer. Ich setze mich nicht in ein Zelt mit Repräsentanten der Haider-Partei, die dort dann "staatstragende Elemente" spielen. Um Gotteswillen.

Andererseits: In anderen Ländern Europas wurden Spanienkämpfer anlässlich des Jubiläums des Kriegsendes geehrt, im katholischen Irland zum Beispiel. Die österreichischen Spanienkämpfer haben als Organisation, deren Obmann ich momentan bin, allerdings keine Einladung vom Herrn Bundespräsidenten oder von irgendjemandem bekommen. Das ist bezeichnend für das offizielle Gedenkjahr: Man wäscht sich den Pelz und wird nicht nass dabei.

Interview: Eva Egermann (im Rahmen von "Nach der Freiheit...")

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60 Jahre Befreiung, 50 Jahre Staatsvertrag, 10 Jahre EU-Mitgliedschaft - im so genannten Jubiläumsjahr 2005 erlebt Österreich einen neuerlichen Schub an Geschichtsverzerrung und Chauvinismus, an Opfermythen und diversen rot-weiß-roten Identitätskonstruktionen.
Eine Aktionsplattform tritt gegen die national-konservative Jubelmaschine an
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