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Wissen über den Widerstand...

Fritz Probst wurde 1916 in Wien geboren. Er war in den Jahren des Austrofaschismus im Kommunistischen Jugendverband tätig, der von ihm in Favoriten mitgegründet wurde. Er wurde mehrere Male inhaftiert, bis er 1939 über Prag nach England emigrierte, wo er die Organisation "Young Austria" mitgründete. Er ist einer von rund 3.000 Österreichern, die in der britischen Armee für die Befreiung Österreichs kämpften. 1945 kehrte ehr nach jahrelangem Exil nach Wien zurück. Das Interview entstand am 11. August 2005 im großen Festsaal des Amtshauses in Hietzing.

Sie waren ja schon im Austrofaschismus in illegalen Organisationen wie den Roten Falken und dann im kommunistischen Jugendverband aktiv und wurden deswegen auch mehrmals inhaftiert. Wie haben diese Aktivitäten ausgesehen?

Fritz Probst: Ich war damals noch sehr jung und wegen meiner politischen Überzeugung aktiv. Ich habe mich in keiner Weise vor Repression gefürchtet und war auch darauf vorbereitet, eingesperrt zu werden. Das ist dann ja auch passiert.






Das Amtshaus Hietzing wurde 1914 erbaut und durch Bombentreffer im Februar 1945 teilweise zerstört. Der große Festsaal des Amtshauses wurde beim Wiederaufbau im Stil der 50er Jahre neu gestaltet. Sie sehen 3 Bilder, aufgenommen im Amtshaus Hietzing. Das erste zeigt die "Hietzinger Gedenkstunde für Bundeskanzler Dr. Engelbert Dollfuß" am 7. Mai 2004, ablässlich seines 70. Todestages. (Bild: Renate Sassmann) Das letzte zeigt eine Gesprächssituation mit Fritz Propst, Widerstandskämpfer und Kommunist aus Hietzing am 11. August 2005 (Videostill). In der Mitte. Vorbereitungen für das Interview.

Es herrschten damals politische Zustände in Österreich, in denen das Parlament ausgeschaltet war und eine Clique von Faschisten regierte. Meine Einstellung war, dass die weg gehören. Ich war der Meinung, dass es uns zusammen mit der Mehrheit der ÖsterreicherInnen, die ja gegen dieses Regime waren, gelingen würde, effektive Aktivitäten zu entfalten. Aktionen, wie zum Beispiel jene zum 1. Mai 1934. Ab 1933 war nämlich der 1. Mai-Aufmarsch verboten. Nachdem die Kämpfe vom 12. Februar vorbei waren, wollten wir irgendetwas unternehmen, um der Bevölkerung ein Signal zu geben, dass der Widerstand gegen den Austrofaschismus lebt. Ich habe damals im zehnten Wiener Gemeindebezirk gewohnt. Und so haben wir beschlossen, an allen belebten Kreuzungen des 10. Bezirks Plakate aufzuhängen, um öffentlich zu signalisieren, dass wir uns nicht geschlagen geben und dass für uns der Aufstand des 12. Februar keine Niederlage war, sondern ein Sieg der Arbeiterklasse, hat sie doch an diesem Tag zum ersten Mal massiv Widerstand gegen den Faschismus geleistet.

In Ihrem Buch ("Mein Leben im Widerstand", Globus Verlag) schreiben Sie, dass eine Motivation für Ihren Widerstand der Wunsch nach einer anderen Gesellschaftsordnung war. Mich würde interessieren, welche Utopie oder Wunschvorstellung das war, die Sie dem Austrofaschismus und später dem Nationalsozialismus gegenüberstellen wollten.

Fritz Probst: Diese Ansichten oder Ziele haben sich gewandelt. Zunächst gab es das Ziel, den Faschismus zu schlagen und eine demokratische Ordnung wiederherzustellen. Das war das unmittelbare Ziel. Das Fernziel war eine sozialistische Gesellschaft, also eine Gesellschaft, in der die Produktionsmittel nicht Einzelnen gehören, sondern vergesellschaftlicht werden, wo nicht produziert wird, damit einzelne Leute Profit machen, sondern weil die Leute die Produkte brauchen - also keine Warenproduktion, sondern eine Güterproduktion. Meine Wunschvorstellung war eine sozialistische Gesellschaft, wie sie bei Karl Marx entwickelt wird, in der die Menschen das produzieren, was man braucht - nicht um Geld zu verdienen, sondern weil es gebraucht wird.

Das war, wie gesagt, das Fernziel. Aber das unmittelbare Ziel war, alle zur Solidarität gegen den Faschismus zu bewegen, egal welche gesellschaftliche oder politische Auffassung man hatte.

Sie sind 1939 von Prag nach England emigriert und haben die Organisation "Young Austria" mit aufgebaut und in der britischen Armee für die Befreiung Österreichs gekämpft. Wie war das dann, als der Krieg aus war? Was hatten Sie für Vorstellungen von der Zukunft in der zweiten Republik?

Fritz Probst: "Young Austria" war keine parteipolitische Organisation, sondern eine österreichische Organisation, in der alle Österreicher Platz fanden. Wir haben vor allem versucht, jungen Menschen - 14-, 15-, 16-Jährige -, die noch nie im Ausland waren und die jetzt ihre Eltern verlassen hatten, Unterstützung zu geben durch die gesellschaftliche Form der Jugendgruppe. Das ist uns auch tatsächlich gelungen. Darüber hinaus haben wir in den englischen Jugendorganisationen, in die wir immer wieder eingeladen wurden, ein freies Österreich propagiert. Kein Großdeutschland, sondern ein freies Österreich, im Unterschied zu den Sozialisten, die damals die Auffassung von einem sozialistischen Großdeutschland vertreten haben und die uns als bürgerliche Nationalisten beschimpft haben. Wir waren aber der Meinung, dass alle Österreicher zusammen ein demokratisches Österreich aufbauen sollten.

Darüber hinaus haben wir einen illegalen kommunistischen Jugendverband gehabt, legal konnten wir das auch in England nicht, und da haben wir junge Leute, die sich politisch mehr interessiert haben, zusammengefasst, und uns auch die Aufgabe gestellt, ein demokratisches Österreich mit allen Parteien aufzubauen, wenn wir zurückkehren.

Wir haben uns allerdings nicht vorgestellt, dass es wieder zu einer kapitalistischen Ausbeutergesellschaft kommt, sondern dass Österreich ein freies demokratisches Land sein wird, in dem man die Konsequenzen aus den Lehren des Faschismus und des Krieges gezogen hat.

Ich hab das nicht als Illusion betrachtet und ich bin nach wie vor der Meinung, dass es keine Illusion ist. Es ist nur einfach nicht eingetreten.

Das wäre auch meine nächste Frage: Inwieweit sich Ihre Hoffnungen und Erwartungen erfüllt haben, aber auch, wie WiderstandskämpferInnen und Überlebende der Lager bei ihrer Rückkehr in Österreich aufgenommen wurden?

Fritz Probst: Für mich war das eigentlich eine Enttäuschung, dass die kommunistische Partei bei der ersten Wahl 1945 so schlecht abgeschnitten hat. Das haben wir nicht erwartet. Wir haben uns gedacht: Die Kommunisten sind die stärkste Widerstandsgruppe in Österreich und das wird auch vom Volk honoriert werden. Wir haben das einfach falsch eingeschätzt, dass das österreichische Volk nach wie vor zu einem großen Teil vom Nationalsozialismus geprägt war und diesen Sieg der Alliierten über Österreich und Deutschland nicht als einen Sieg, sondern als eine Niederlage betrachtet hat.

Ich habe mir in Wien eine Wohnung zuweisen lassen und die Nachbarn links und recht waren alle sehr freundlich. Und ich glaube nicht, dass sie nur freundlich waren, weil ich ein britischer Soldat war. Sie waren nach eigenen Aussagen ehemalige Sozialdemokraten und waren nie an irgendwelchen Aktivitäten des Regimes beteiligt, haben sich aber immer reserviert und ruhig verhalten. Jeder musste sich natürlich arrangieren, um nicht ins Konzentrationslager zu kommen, und die meisten haben sich nicht getraut, etwas zu machen, aber man kann nicht sagen, dass die gesamte Bevölkerung nazistisch war. Es war ja oft eine Frage von Leben und Tod. Wenn einer nur ein falsches Wort gesagt hat, ist er schon vernadert worden - und ab ins Konzentrationslager.

Die Leute waren dementsprechend zwar froh, dass der Krieg vorbei war und dieser Druck von Seiten der Gestapo weg, aber sie haben es noch nicht als Befreiung empfunden und eben da liegt viel Schuld bei den führenden Parteien, der ÖVP und der SPÖ, denn diese haben die Vergangenheit nie bewältigt. Da ist es auch kein Wunder, dass man heute - im Gedenkjahr 2005 - davon spricht, dass Österreich erst 1955 frei geworden ist, dass also die Befreiung erst 10 Jahre nach der eigentlichen Befreiung, nämlich durch die Unterzeichnung des Staatsvertrags stattgefunden hat. Das ist auch ein Zeichen für eine völlig falsche Politik, die die beiden großen Parteien da betrieben haben, und wir waren leider nicht im Stande, dem etwas entgegenzusetzen.

Und jetzt 60 Jahre später, wenn Sie durch die Stadt gehen, durch Hietzing, wo Sie seither wohnen, wo kommen Ihnen da noch Erinnerungen an die Zeit damals im Widerstand?

Fritz Probst: Eigentlich denke ich mehr an die Zukunft und an die Gegenwart als an die Vergangenheit. Sicher ist die Vergangenheit wichtig, um gewisse Schlüsse zu ziehen für die Gegenwart - aber ich bin kein Mensch, der der Vergangenheit nachhängt, sondern einer, der nach vorne schaut. Es ist sehr schwierig für uns Kommunisten, insbesondere jetzt nach dem Zusammenbruch des realsozialistischen Lagers, wo sich zeigt, wie fehlerhaft der Realsozialismus war. Allerdings hat er doch in vielen Ländern verhindert, dass der Kapitalismus und die Globalisierung derart überhand nehmen, oder die Entrechtung der Arbeiterschaft, die wir derzeit erleben.

Für mich ist es ja eine Enttäuschung, dass sich in den vergangenen Jahren nichts zum Besseren verändert haben sollte, wenn etwa aus der 48 Stunden-Woche die 40 Stunden-Woche wurde, und jetzt soll man plötzlich wieder 60 Stunden arbeiten, wie manche Unternehmer meinen.

Ich aber hänge, wie gesagt, nicht der Vergangenheit nach. Orte haben für mich keine Bedeutung. Der politische Kampf hängt nicht mit Orten zusammen, hat mit der Geographie nichts zu tun. Ich denke oft an gute, gelungene Veranstaltungen in England oder an verschiedene Episoden des Krieges - und manchmal an meine politische Tätigkeit hier, aber an bestimmte Orte denke ich nicht. Ich bin kein Melancholiker. Ich bin überall ein Kämpfer gewesen. Ich habe in England gekämpft, war in der Tschechoslowakei, das war mein erstes Fluchtland, aber die Orte an sich haben für mich keine große Bedeutung gehabt. Eher der Inhalt des Kampfes.

Warum sind Sie gerade nach Hietzing gezogen? Hietzing ist ja nicht gerade ein Arbeiterbezirk.

Fritz Probst: Das war so: Favoriten war in der russischen Zone, Hietzing war in der englischen Zone und ich war in der britischen Armee. Ich wollte meine Frau und meine Kinder nach Wien bringen und die konnte ich nur in der englischen Zone unterbringen. Ich konnte auch nur in der englischen Zone eine Wohnung bekommen. Wir hatten ja den Auftrag, die Villen der Naziführer zu beschlagnahmen für britische Offiziersfamilien. Ich hätte auch für mich eine Villa beschlagnahmen können, aber das wollte ich nicht, denn ich wusste, dass wenn die Engländer wieder abziehen, sie auch aus den Villen ausziehen müssen. Ich habe mir also eine Arbeiterwohnung, eine Gemeindewohnung ausgesucht. Die Wohnung, die ich beschlagnahmt habe, war von einem Ortsgruppenleiter der NSDAP, der geflüchtet war, und ich habe mir von der Gemeinde Wien eine Zuweisung geben lassen.

1955, nachdem die Besatzungsmächte abgezogen waren, ist der Mann dann gekommen mit der Polizei und wollte uns aus der Wohnung raus haben, aber ich hatte ja die Zuweisung von der Gemeinde Wien. Der Mann hatte übrigens diese Wohnung arisiert. Er hat also einen Juden oder Sozialdemokraten oder irgendeinen, der ins KZ musste, rausgeschmissen und hat sich reingesetzt, hatte aber eben keine Zuweisung von der Gemeinde Wien. Deswegen wohne ich bis heute in Hietzing.

Sie sagen, dass Sie nicht in der Vergangenheit verhaftet sind, sondern lieber in der Gegenwart kämpfen. Was aber kann man aus der Vergangenheit, aus den Erfahrungen vergangener Kämpfe lernen - etwa für den Widerstand gegen die von Ihnen beklagten, im öffentlichen Diskurs allerdings als alternativlose Sachzwänge gehandelten, neoliberalen Gegenreformen?

Fritz Probst: Ich habe Karl Marx und Engels studiert und habe ihre Ideen gelesen: Wie entwickelt sich überhaupt eine Gesellschaft? Was sind die Wurzeln einer Gesellschaft? Sind das einzelne Menschen, die Gesellschaft verändern und was sind die Ursachen? Die eine Gesellschaftsordnung löst die andere ab, auf Grund einer Technologie, die sie entwickelt hat. Wir leben heute in einer Zeit der Hochtechnologie, in der ein Drittel der Menschen von der Produktion ausgeschlossen ist - dann kann aber das, was produziert wird, gar nicht mehr konsumiert werden, weil ein Drittel der Menschen überhaupt nicht in der Lage ist, sich etwas zu kaufen. Ich glaube, dass es eine Krise nach der anderen geben wird, die letztendlich dazu führen, dass die Menschen sagen: "So wollen wir nicht weiterleben!"

Heute sehen wir große Konzerne und immer größere Zusammenschlüsse von Betrieben, die Macht oder das Kommando, liegt dementsprechend in immer weniger Händen. Die Regierung ist nur die Form, die den Staat verwaltet. Aber in Wirklichkeit regieren ja die, die die Wirtschaft in der Hand haben. Die entscheiden, was vor sich geht. Die entscheiden über Krieg oder Frieden.

Letztendlich sind wirtschaftliche Auseinandersetzungen und Konkurrenzkämpfe immer schon die Ursachen von Krieg gewesen. Das ist dann die höchste Form der Auseinandersetzung, der Krieg.

Man sieht also, dass die aktuelle Situation der fortgeschrittenen Globalisierung auch die Gefahr eines großen Krieges in sich birgt. Und die Menschen müssen das erkennen, und sie werden es früher oder später auch erkennen. Leider meistens zu spät.

Meine Überzeugung ist aber, dass sich diese Gesellschaftsordnung nicht halten kann.

Es muss eine neue Gesellschaftsordnung kommen, egal wie man die dann nennt, aber eine Gesellschaftsordnung, in der nicht die großen Konzerne und Betriebe über das Schicksal der Menschheit entscheiden. Es muss also unbedingt zu sozialen und politischen Auseinandersetzungen und Kämpfen kommen. Darauf baut meine Überzeugung auf, und meine Überzeugung ist wissenschaftlich fundiert. Eine Gesellschaftsordnung ändert sich nur auf Grund von Produktivkräften. Die Produktivkräfte entscheiden über die Gesellschaftsordnung.

Ein prägnanter Ausspruch der WiderstandskämpferInnen 1945 war "Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg!". Sehen Sie diese Forderung in den letzten 60 Jahren erfüllt?

Fritz Probst: Das kann nur eine Losung, das kann nur ein Ziel sein. Ob das Ziel erreichbar ist oder nicht, ist schwer zu sagen. Das ist ein Ziel, das man den Menschen gibt, damit sie alles tun, damit es nie mehr zu Faschismus und Krieg kommt, wie wir es erlebt haben. Ob dieses Ziel erreicht wird, hängt von den Menschen ab, davon, ob sie diese Losung für sich aufgreifen oder nicht.

Wie würden Sie aber etwa faschistische Tendenzen in unserer Gesellschaft einschätzen?

Fritz Probst: Ja, es gibt wieder Dinge, von denen man gedacht hat, dass sie längst vergessen sind - und es wird viel zu wenig dagegen getan.

Wenn man bedenkt, dass unser Bezirksvorsteher in Hietzing es nicht für notwendig findet, am 70. Jahrestag des 12. Februar 1934 einen Kranz im Namen der Bezirksvorstehung beim Denkmal von Karl Münichreiter niederzulegen. Wer war Karl Münichreiter? Der nach den Februarkämpfen standrechtlich verurteilte Karl Münichreiter wurde mit der Tragbahre zum Galgen gebracht, weil er schwer verwundet war. Der Gerichtsarzt hat damals auf die Frage, "Ist dieser Mann fähig hingerichtet zu werden?", weil es im Gesetz heißt, dass schwerkranke Menschen nicht hingerichtet werden dürfen, geantwortet: "Er ist nicht schwerkrank, er ist nur schwer verwundet" - und so wurde er hingerichtet. Wir haben in Hietzing ein Denkmal und eine Straße nach ihm benannt, die Karl-Münichreiter-Straße und das Karl-Münichreiter-Denkmal am Goldmarkplatz, und unser Bezirksvorsteher hat es, obwohl dazu eingeladen, selbst am 70. Jahrestag der Februarkämpfe nicht für notwendig befunden, einen Kranz im Namen der Bezirksvertretung niederzulegen. Warum? Weil er sich nach wie vor zu Dollfuß bekennt. Die Volkspartei bekennt sich heute immer noch zu Dollfuß, weil er von den Nazis im Sommer 1934 ermordet wurde. Aber er hat den Faschismus in Österreich durchgesetzt, er hat Menschen hinrichten lassen, die für die Demokratie kämpften. Er hat mit Kanonen auf die Häuser der Arbeiter schießen lassen. Wenn man sich zu diesem Mann bekennt und sich als Nachfolgepartei seiner Partei sieht, dann zeigt das meiner Meinung nach schon ein falsches Verständnis von Faschismus, nämlich ein wohlwollendes. So ist es nicht verwunderlich, dass die Art und Weise wie Schüssel regiert, durchaus undemokratische Züge hat.

Im Jahr 2004 gab es ja hier in diesem Saal der Hietzinger Bezirksvertretung, in dem wir uns gerade befinden, eine Gedenkveranstaltung anlässlich des 70. Todestages von Dollfuß...

Fritz Probst: Ja! Außerdem hat es hier sogar eine Dollfußgedenkveranstaltung gegeben! Sie bezeichnen ihn als erstes Opfer des Faschismus, des deutschen Faschismus. Er wird glorifiziert, weil er während des Naziputsches erschossen worden ist. Aber den Austrofaschisten Dollfuß zu verehren und nicht seiner Opfer zu gedenken, das finde ich absurd.

Das ist aber nicht das einzige Beispiel dafür, wie im Gedenkjahr 2005 versucht wird, Geschichtsbilder zu prägen. Alle politischen Lager versuchen ihre Sicht auf die zweite Republik als allgemeingültige Auffassung durchzusetzen, auch um ihre Politik zu legitimieren. Welche Rolle spielt denn Ihrer Meinung nach die Widerstandsbewegung im österreichischen Geschichtsverständnis?

Fritz Probst: Die Vergangenheit wurde nie richtig aufgearbeitet. Es war diesbezüglich bezeichnend, dass die erste Frage der ORF-Journalistin, die mich vor kurzem zum Gedenkjahr interviewt hat, lautete: "Was haben Sie empfunden, als Sie als englischer Soldat nach Wien gekommen sind?" Ich habe gesagt: "Das kann doch nicht Ihre erste Frage sein. Ihre erste Frage müsste sein: Wieso sind Sie nach England gegangen? Oder: Wieso sind Sie überhaupt als Österreicher in die britische Armee gekommen?" Die müsste doch weiter zurückgehen und fragen, wie es denn überhaupt zum Faschismus in Österreich gekommen ist.

Ich habe dem Bürgermeister Häupl am 18. November 2004 einen Brief geschrieben und ihm mein Buch geschickt. Ich habe mich vorgestellt und erklärt, dass ich in der sozialdemokratischen Kinder- und Jugendbewegung aufgewachsen und später Jungkommunist geworden bin und nach England flüchten musste und dass ich der Meinung bin, dass die 20 ehemaligen englischen Soldaten, die ihr Leben für die Befreiung Österreichs eingesetzt haben und noch in Wien leben, geehrt werden sollten. Jedes Dorf, jede Stadt ehrt ihre Skiweltmeister, aber Wien hat bis heute nicht die englischen Soldaten geehrt - junge Menschen, die sich freiwillig mit 18 Jahren aus einem gesicherten Asyl heraus gemeldet haben, um für Österreichs Freiheit zu kämpfen.

Ich habe also dem Bürgermeister vorgeschlagen das Jahr 2005 zu nutzen, um diese Soldaten zu ehren. Die Adressen der Soldaten kann er von der englischen Botschaft bekommen oder ich kann sie beschaffen. Daraufhin habe ich bis zum 4. Februar diesen Jahres keine Antwort bekommen, drei Monate lang habe ich nichts gehört und dann hat mich Häupls Privatsekretärin angerufen und gesagt, dass sich der Herr Bürgermeister bedanken lässt für das Schreiben und das Buch. Ob er es gelesen hat, hat sie nicht gesagt. Er denke schon daran, "irgendetwas" zu machen. Bis heute ist nichts passiert. Die Ehrung für die Leute, die gekämpft haben, hat nicht stattgefunden. Dagegen habe ich von einem englischen Soldaten, mit dem ich gut befreundet bin, gehört, dass er das goldene Verdienstzeichen der Stadt Wien bekommt - er ist Funktionär der sozialdemokratischen Partei. Wenn man Mitglied der Partei ist, bekommt man also seine Ehrung. Das ist in meinen Augen eine Sauerei.

Ich finde aber trotzdem, dass das Gedenkjahr 2005 und seine viele Veranstaltungen dazu beigetragen haben, dass mehr Menschen über den Widerstand informiert wurden, was zwar nicht in der Absicht der Regierung lag, aber vielleicht durch die Tätigkeit verschiedener anderer Organisationen passiert ist, wie der Gewerkschaft und den HistorikerInnen der Arbeiterkammer, die auch zu meinem Buch beigetragen haben, oder auch durch Veranstaltungen der Volkshochschule.

Es wurde also Wissen über den Widerstand von nicht offiziellen Stellen aus verbreitet und vielleicht auch der Jugend ein wenig vermittelt. Allerdings nicht genug - bestimmt nicht genug.

Interview: Eva Egermann (im Rahmen von "Nach der Freiheit...")

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