Geschichte als Austro-Pop-Show in Schwarz/blau
"Mir ham nix gheat, mir ham nix gsehn / Mir san die erstn opfer gwen"
(Waachbirn nach Fendrich)
"Da geht’s nicht viel um Musik, das ist [österreichisches] Kulturgut, alle identifizieren sich damit." Alfons Haider
"Hinter Melodien, die wir nicht aus dem Kopf kriegen, verbergen sich regelmäßig unbewusste Gedanken." Sigmund Freud
"Wir müssen sagen, dass Kultur zur Erbauung dient - und nicht zur ständigen moralischen Selbstreflexion und zum Ausweinen." Walter Tancsits, Sozialsprecher der ÖVP
I am from Oarschtralien...
Ende letzten Jahres begab sich der ORF mit der von Arabella Kiesbauer moderierten "Austro-Pop-Show" auf die Suche nach dem größten Austro-Pop-Song aller Zeiten. Heraus kam dabei eine zwar befürchtete, aber so dennoch nie zu denken gewagte Allianz aus Chauvinisten-Pop und Nationalismus. Denn statt von mir aus nur aus Nostalgie und Totenkult Falcos "Rock Me Amadeus" auf Platz 1 zu wählen, wurde Rainhard Fendrichs "Blut- und Boden-Light"-Hymne (Klaus Nüchtern) "I Am From Austria" zum Sieger gewählt. Auf Platz zwei kam Hubert von Goisern mit "Heast es net", der sozusagen grün-alternative Version des Fendrichschen Völkischen. Und Fendrich mahnt auch – egal ob "EU-Sanktionen" oder "Gedenkjahre" – den nationalen Schulterschluss ein: "I steh’ zu dir bei Licht und Schatten/Jederzeit". Das spricht aus einer Seele, deren Psychogramm frei nach Erwin Ringel aber vor allem auch durch Lieder wie Wolfgang Ambros’ "Da Hofa", DJ Ötzis "Anton aus Tirol" und "Der Märchenprinz" der EAV gekennzeichnet ist.
Die neuen Staatskünstler
In Deutschland, wo auch prominente Grüne für eine "Bitte-schön-in-Deutsch-singen"-Quote sind, wird "Schwarz-Rot-Gold" schon lange nicht mehr mit "Der Himmel unsrer Zukunft", "Die Erde der Vergangenheit", "Die Zähne unsrer Väter" (Mittagspause: "Herrenreiter", 1979) übersetzt. Dafür sorgen u.a. Propaganda-Bands der Berliner Republik wie Mia, Virgina Jetzt, Silbermond, Juli, die direkt aus dem geistigen Heinz Rudolf-Kunze-Tieffluggebiet nationaler Ätherhoheit durch Quote aufgestiegen zu sein scheinen. Flankiert wird dieser Kampf gegen das "langweilige Einheitsgedudel aus Amerika" durch sich selber wohl für superunlangweilig haltendes Einheitsgedudel aus Deutschen Landen, dass sich von der amerikanischen Marktkonkurrenz ungefähr so unterscheidet wie die deutschen Schauspieler in den Edgar Wallace-Filmen von echten Engländern. Also wird Sarah Connor gegen Anastacia ins Feld geführt und Ivonne Catterfeld plus Jeanette Biedermann gegen Britney Spears. Alle zusammen ergeben dann eine Art Anti-Madonna-V2, weil so einfach konvertiert man dann doch nicht zum Judentum und nennt sich einfach Esther! Das findet auch der Boulevard und berichtet immer wieder gerne über Madonnas "Guru", der sie in diese "jüdische Sekte" (gemeint ist die Kabbala, eine der Säulen jüdischer Identität) eingeführt hat und über angebliche "Geheimlehren" in ihren Kinderbüchern. Auch so funktioniert Anti-Semitismus. Hätte sie sich doch nur dem Buddhismus zugewandt, dann wäre sie jetzt so beliebt wie Richard Gere und Hubert von Goisern. Bei dieser popistischen Re-Reeducation fällt aber – in Deutschland wie in Österreich – noch etwas auf: Egal um welche Casting-Show-Überbleibsel es sich nun handelt – die "Girlies" und die "Popsternchen" sind immer die anderen. Diese Zwergenperspektive der präpotenten Selbstüberschätzung durch die Länge der Schatten bei niedrigem Sonnenuntergang und ebenso beengtem Horizont, ist zwar nichts Neues, neu ist jedoch das Exerzierfeld. Nicht das Pop in Österreich jetzt plötzlich ernst genommen wird. (Als Wirtschaftsstandort-Frage wie in Deutschland fällt er sowieso aus, was bleibt ist Ösi-Pop als Mentalitätsstandort-Frage und das ist um einiges ekelhafter als Pop an der deutschen Börse.)
In einem Land, wo "Schwarzwaldklinik"-Ausgeburten wie Barbara Wussow und Anja Kruse (die Femme Fatale aus den Hansi Hinterseer-Filmen) als ernsthafte Schauspielerinnen gehandelt werden, auch kein Wunder. Denn der Boulevard als Ort der Ideologie der großen wie der kleinen Bourgeoisie kann seine hegemonialen Ansprüche nur als Gegenpol und Antithese zu Pop formulieren. Deshalb verkommt hier auch eine Pop-Urform wie die Operette als eindimensional zum Musikschwank kastriertes Zuckergebäck. Die schwere Kunst der leichten Muse ist in Mörbisch und anderswo ebenso wenig angekommen wie die vergleichbare "Heavy Art of Easy Listening". Was nichts anderes meint als eine totale Absenz auch nur irgendwelcher Unterschiede zwischen den Oberflächen (geschweige denn auf den Oberflächen) und den sich dahinter vermeintlich befindlichen Tiefen. Es ist weil es ist. "Den Dritten Mann" mit "The Sound Of Music" verwechselt? Auch wurscht! Wer braucht schon Dialektik, wenn es weiße Lipizzaner-Schimmel gibt? Entweder man ist blöde oder schrill. Alf Poier oder Global Kryner, womit die Kleinkunst und das Kabarett nach dem Film nun auch die Popmusik in Österreich endgültig übernommen hat.
Die dachte sich zwar immer schon eher klein, anti-urbanistisch bodenständig (STS mit "Fürstenfeld",) und ewig zu kurzgekommen ("Wir brauchen ka UNO und ka große Welt" singt etwa Marianne Mendt im Titelsong zum "Kaisermülen-Blues"), aber jetzt will sie auch staatstragend sein und generiert so die eigentlichen Staatskünstler neuen Typs. Allen voran DJ Ötzi ("Es ist wichtig, dass man so ist, wie man ist."), dessen "Anton aus Tirol" immerhin die erste Nummer Eins in den österreichischen Charts unter Schwarz/Blau war, gefolgt von den als poppige und volllässige Ich-AGs verkauften, urgeilen Dienstleistungsunternehmungen aus dem "Starmania"-Fundus.
Jetzt mag man einwenden, dass Privat ja eh keinen Staat braucht. Das stimmt aber nur für die Politik, die als böse Ideologie bekanntlich immer von genau jenen Hardlinern verteufelt wird, deren Betonhirne unter Stahlhelmen dampfen. Aber macht nix. Wir können ja Hans Christian Andersen "Des Kaisers neue Kleider" genau dagegen wiederum ideologisch lesen. Oder bei Gudrun Ensslin lesen "Wir können die Herrschenden nicht zwingen, die Wahrheit zu sagen, aber wir können sie zwingen, immer unverschämter zu lügen." Nur, gelogen wird mittlerweile so offen, dass auch das Gegenteil davon zur Lüge wird und sich vor allem niemand darum schert. Wie auch, wenn Politiker in Unterhaltungsshows (Schüssel bei "Vera", Grasser in den "Seitenblicken", Mölzer im TV-Dauertalk) als ganz normal, im Sinne von so natürlich wie der freie neoliberale Markt betrachtet werden.
Geschichte wird verlacht
"TV makes it & TV breaks it" – Wo Dieter Bohlen Recht hat, hat er Recht. TV macht Geschichte, und bricht sie auch. Von wegen "Legalize History". Das haben ja all die Retro-Shows und Guido Knopp-ZDF-Geschichtsstunden ja gemein: Sie bestehen aus lauter kleinen, subjektiven Ich-war-dabei-Erzählungen, die in keinster Weise hinterfragt werden. Egal ob Zweiter Weltkrieg oder die Siebziger. Wobei es bei den Pop-Retro-Shows schon reicht etwas nur vom Hörensagen her zu kennen. Gut, das ist im Zeitalter allgemeiner Revivalisierung schon möglich, ich rede ja auch gerne über Elvis oder Schostakowitsch und war nicht dabei. Aber das Problem sind dabei ja die Ausklammerungen sämtlicher politischer (also auch ökonomischer, sozialer) Zusammenhänge und Rahmenbedingungen. "Solch ein Rückgriff auf eine spezifische Erfahrung, die sich nicht verallgemeinern lässt, ist immer und per definitionem eine konservative politische Geste, denn letztlich kann jeder seine einzigartigen Erfahrungen anführen, um seine verwerflichen Taten zu rechtfertigen." (Zizek)
So erklärt auch Arabella Kiesbauer das "Geheimnis des Erfolges des Austro-Pops": Er ist "so wahnsinnig authentisch, so echt." Da darf dann Dagmar Koller die späte Rache der Provinz am einzigen Pop-Cosmopoliten Österreichs exekutieren und sagen, dass Falco irgendwann "a bissl zerbrochen" ist. "Authentizität ist eine Funktion des Vergessens unserer ‘radikalen Mediokrität’", sagt dazu Henk Oosterling. Willkommen in der neuen, radikalen Mitte!
Wenn nun in der Psychoanalyse zwischen verwerfen (Psychose), verdrängen (Neurose) und verleugnen (Perversion) unterschieden wird, was heißt das dann für das heurige Gedenkjahr? Das viel verdrängt wurde und immer noch wird? Auch, aber wie schon Jacques Lacan ausführt gibt es keine Verdrängung ohne die "Rückkehr des Verdrängten", was als Wiedereingliederung des zuvor aus dem Symbolischen (aus "der signifikanten Kette") ausgeschlossenen Signifikanten zu verstehen ist. Haben wir es nicht viel eher mit einem bewussten "retroaktiven Umschreiben" (Slavoj Zizek) von Geschichte und von Vergangenheit zu tun? Dessen Kern besteht ja gerade darin, ein Wissen um die "traumatischen Begegnungen" (Zizek) der Vergangenheit zu haben, diese aber zu leugnen. Wenn also wieder locker vom "ersten Opfer Hitlers" geredet, der Austrofaschismus (plus allem was da an ständestaatlicher, klerikalfaschistoider Ideologie dazugehörte) als Antifaschismus gefeiert und der Widerstand gegen Hitler zu einem aristokratisch, bürgerlich-katholischen Einzelunternehmen hochstilisiert wird, dann haben wir es im Grunde mit jener "Abwehrform" zu tun, "die in einer Weigerung des Subjekts besteht, die Realität einer traumatisierenden Wahrnehmung anzuerkennen" von der Lacan spricht, wenn er erklärt dass und warum der Perverse verleugnet. So konnte auch ÖVP-Nationalratspräsident Andreas Khol den Versuch starten den Bürgerkrieg vom Februar 1934 im Sinne einer austrofaschistischen Antifa letztes Jahr ein zweites mal zu gewinnen. Nun als retroaktiv umgeschriebene Historie. Und das war jetzt – sozusagen als Vorexerzierfeld – "nur" ein kleiner Bürgerkrieg und kein Weltkrieg plus Shoa! Dessen Neuschreibung als österreichische Erfolgsgeschichte erleben wir dafür heuer.
Denn während es in den deutschen TV-Programmen seit Jahresbeginn auch jenseits der Guido Knopp-Schule zig Sendungen zum Thema gibt (die Auschwitz-Befreiung wurde nicht nur wochenlang, sondern u.a. auch durch Wiederausstrahlungen der TV-Serie "Holocaust" und der KZ-Doku "Shoa" als Programmschwerpunkt geführt) herrscht im Ösi-TV diesbezüglich Funkstille. Ja, wir wissen – Hugo Portisch wird kommen. Und uns graut jetzt schon davor. Wie vor jenen Event-Managern der "25peaces", die sich um "ein haptisches Geschichtserlebnis" bemühen und es dabei ganz toll finden unter Titeln wie "rationiert" von Wirten Menüs mit 850 Kalorien (dem Energiewert, der 1945/46 einer Tagesration entsprach) aus den kulinarischen Traditionen der "Exbesatzer" zusammenstellen zu lassen. Oder einen Schwarzmarkt-Lkw zum flotten Warentausch durch Österreich zu schicken ("beschafft"). Natürlich ist da auch die Linzer Klangwolke am 3. September mit dabei – grenzgenialer Titel "beschallt". Und auch den Sitz des Alliierten Rates wird es wieder geben. Da lautet das Motto "besetzt". Alles klar? Mölzer, Stadler und Co haben also gute Arbeit geleistet. Dieses Geschichtsbild eines erst 1955 befreiten Österreichs schmiert die mediokre Mitte wie deren öffentliche Stellen (Kulturämter etwa bei 2005-Gedenkausschreibungen) gerne über die Jahreszahl 1945.
Was ist schon die "Befreiung vom Faschismus" gegen "Österreich ist frei"? Eben. Schon Kafka wusste im "Prozeß": "Richtiges Auffassen einer Sache und Missverstehen der gleichen Sache schließen einander nicht vollständig aus." Wenn es nur so wäre. Auch deshalb fällt das telegevotete Bekenntnis zu Zeilen wie "Wird auch mein Blut auf einmal schnell/Sag’ i am End’ der Welt voll Stolz/und wann ihr wollt’s/auch ganz alla/I am from Austria" in jene Kategorie die Max Liebermann schon 1933 als "Heutzutage kann man gar nicht so viel fressen, wie man kotzen möchte." beschrieben hat. Danke Schwarz/Blau! Umbau der Republik (in was eigentlich) gelungen. Setzen!
Zuerst erschienen in Versorgerin # 0065
Versorgerin