Frauen erinnern sich an Frauen
Wie erinnern wir uns an jene Frauen, die aus den verschiedensten Gründen vom nationalsozialistischen Regime in Konzentrationslagern gefangengehalten, gequält und ermordet wurden? Seit wann erinnern wir uns überhaupt an sie?
Das Erinnern an die Verbrechen des Nationalsozialismus war in Österreich lange Zeit sehr einfach, denn es fand kaum statt. Schmerzhaft und unabwendbar war es jedoch immer für die Opfer, die - selbst wenn sie es wollten - nicht vergessen können. Die meisten von ihnen wurden mit diesen Erinnerungen alleingelassen, verschwanden im Mythos vom "ersten Opfer Österreich", gingen im gnadenlosen Vorwärtsschreiten des Wiederaufbaus unter oder fanden in der Zweiten Republik kontinuierliche Diskriminierungen vor, die sie verstummen oder das Land verlassen ließen.
Selbst innerhalb derjenigen Opfergruppen, die dem allgemeinen und staatstragenden Vergessen nicht wiederum zum Opfer fielen, sind es meist die Frauen, die beim offiziellen, gewissensberuhigenden Gedenkakt und in der historischen Wissenschaft und Lehre kaum beachtet werden. "Frauen blieben zumeist im Schatten der Helden, und ihre Leiden wurden, so scheint es, schneller vergessen als die der Männer", schreiben etwa Barbara Distel und Wolfgang Benz, die 1987 (!) eine der ersten Anthologien zum Thema veröffentlichten. Das österreichische kollektive Gedächtnis, das Bilder des Nationalsozialismus in sich trägt, sieht Frauen als Mütter und Ehefrauen der Soldaten, als Überlebenskünstlerinnen während des Krieges und dann als Trümmerfrauen, die tatkräftig mithalfen, die Verwüstungen schnell zu beseitigen und die Sicht nach vorne freizumachen. Damit übernehmen wir nicht nur zum Großteil Frauen-Bilder, die uns die Nazis vermitteln wollten, wir blenden auch die Widerstandskämpferinnen aus, die Frauen, die der Rassenpolitik zum Opfer fielen, all die Frauen, die aus verschiedensten Gründen dem Regime im Weg standen und dafür die ganze Brutalität des Nationalsozialismus und seiner unzähligen "willigen VollstreckerInnen" zu spüren bekamen. Aber wir verdrängen auch die Täterinnen, die Denunziantinnen, die Ariseurinnen, die Hetzerinnen und KZ-Wärterinnen, die offenbar genausowenig in die gängigen Frauen-Bilder passen wollen, Frauen-Bilder, die sich seit damals nur langsam verändert haben. Die Gedenkstätten wiederum, die unser kollektives Gedächtnis unterstützen und widerspiegeln, zeigen uns Frauen nur als Ikonen, als Allegorien: Mütter des "Volkes", Mütter der "Helden" oder Göttinnen des Sieges, Göttinnen der Freiheit. Wenn wir aber nun an die Frauen in den Konzentrationslagern, vor allem im Frauen-KZ Ravensbrück denken, welche Bilder haben wir dann im Kopf? Glauben wir etwa, in einem Frauen-KZ wäre es nicht so schlimm gewesen? Glauben wir, die Nazis hätten Frauen nicht so brutal behandelt wie Männer? Glauben wir, in einem Frauen-KZ wäre es "menschlicher" zugegangen? Und wenn wir uns solchen Illusionen hingeben - denn das sind nichts als Illusionen -, warum tun wir das? Um zu belegen, dass das Erinnern, Gedenken und Erforschen solcher Frauenleben in der Tat nicht so wichtig ist?
Jenseits all dieser Bilder und Illusionen erwarten uns die wirklichen Frauen. Einige von ihnen, die die KZs überlebt haben, leben auch heute noch und sind bereit, uns davon zu erzählen, wenn wir es hören wollen. Bereit, uns zu erzählen, wie es dazu kam, dass sie einen Teil ihres Lebens in einem KZ verloren und wohl nie mehr ein "normales" Leben führen konnten, uns auch von den Frauen zu erzählen, die die KZs nicht überlebt haben, vielleicht auch von denen, die zwar zurückkamen, deren Geschichten aber niemanden interessiert haben. Alles, was wir dabei zu tun haben, ist zuzuhören - nicht gerade viel verlangt und doch immer drängender, denn es wird nicht mehr lange dauern und auch diese Frauen können nicht mehr zu uns sprechen und wir können sie nichts mehr fragen.
Dabei erleben wir den täglichen Rassismus, den ungebrochen weiterexistierenden Antisemitismus, die Homophobie und den Neonazismus in diesem Land. Die überlebenden Frauen sind ein Teil jener wenigen ÖsterreicherInnen, die diese faschistischen Kontinuitäten nicht als "Normalität" akzeptieren, die wissen, wohin es führen kann, wenn etwa einer, der von der "ordentlichen Beschäftigungspolitik des Dritten Reiches" spricht, zu einem ganz normalen österreichischen Politiker verharmlost wird. Sie haben diese "Beschäftigungspolitik" erlebt, z.B. als Zwangsarbeiterinnen bei Siemens im Frauen-KZ Ravensbrück und als Opfer der Nazi-Praxis "Vernichtung durch Arbeit".
Uns den Erinnerungen dieser Frauen zuzuwenden, bedeutet also nicht nur, historisches Wissen aus erster Hand zu bekommen, es bedeutet auch, sich der Geschichte des eigenen Landes, der eigenen VorfahrInnen und damit der Wirkung dieser Geschichte in der Gegenwart zu stellen und sich nicht mit ein paar Gedenkritualen jährlich zufriedenzugeben. Es bedeutet aber vor allem, diese Frauen dem historischen Vergessen zu entreißen, sie mit dem nachhaltigen Schmerz ihrer Erinnerungen nicht allein zu lassen, ihren Widerstand, ihr Leiden, ihren Überlebenskampf und ihr bis heute andauerndes antifaschistisches Engagement endlich zu würdigen.
Anmerkungen
Dieser Text war Teil eines Hand-outs, das anlässlich der Filmreihe „ ...die allerschönsten frauen... - filme von frauen über frauen im widerstand gegen den nationalsozialismus und in den konzentrationslagern” verteilt wurde.
Das Filmprogramm „ ...die allerschönsten frauen... ”, im Mai 1999 in Wien und im November 1999 in Linz gezeigt, versammelt selten gezeigte Spiel- und Dokumentarfilme über Frauen im Widerstand und in den Konzentrationslagern. Zu allen Filmvorführungen gab es Gespräche mit den Filmemacherinnen, mit den Frauen aus der Lagergemeinschaft Ravensbrück und anderen Zeitzeuginnen.
Konzept und Organisation: Tina Leisch und Eva Simmler
Die Ausstellung „Wege nach Ravensbrück. Erinnerungen von österreichischen Überlebenden des Frauen-Konzentrationslagers“ wurde im November 1999 in Wien zum ersten Mal gezeigt und wanderte danach bis März 2003 durch Österreich.
Seither kann die Ausstellung im Internet besichtigt werden. Die Erstellung der Website wurde nicht mehr finanziert, und der geplante Relaunch geht entsprechend schleppend voran, sollte aber heuer abgeschlossen werden.
Erste Version
ravensbrueck.action.at
Neue Version mit Erweiterungsplänen
wegenachravensbrueck.net
Das Filmprogramm wie auch die Ausstellung sind Teile eines Projektnetzwerks, in dem die „jungen“ Frauen gemeinsam mit den Frauen der Lagergemeinschaft Ravensbrück seit 1995 versuchen, Ravensbrück in Österreich „zum Begriff zu machen“, wie es sich die „Ravensbrückerinnen“ von uns wünschten.
Das Videoarchiv Ravensbrück zeichnete 34 mehrstündige Interviews, die von (insgesamt über 200 Stunden Zeitzeuginnenschaft) auf und erstellte davon haltbare Kopien. Das Videoprojekt machte weiters den Film „Ratuj mnie! Resi me! Rette mich!“ als Teil der Ausstellung „Wege nach Ravensbrück“, den Film „Wer wird mir helfen? Kärntner Sloweninnen erzählen“, sowie den Film „Vom Leben und Überleben“.
Das Projektteam: Gundula Daxecker, Bernadette Dewald, Gerda Klingenböck, Tina Leisch, Katharina Streiff, Daniela Wörndl, Corinne Schweizer, Barbara Huemer
Videoarchiv
videoarchiv.ravensbrueck.at
Die Interviews, die von mehreren Frauen des Netzwerks geführt wurden, waren schließlich die Grundlage für die umfassende Forschungsarbeit von Helga Amesberger und Brigitte Halbmayr, die 2001 in zwei Bänden veröffentlicht wurde: „Vom Leben und Überleben – Wege nach Ravensbrück. Das Frauenkonzentrationslager in der Erinnerung“, Promedia Verlag Wien 2001.